Mittwoch, 1. September 2010

2005-09-01 | Die Sorgen einer Rocklegende

Vor genau fünf Jahren schrieb der "Tagesspiegel":

Kritikerlob, Musik-Preise, Millionen verkaufte Alben - das ist die eine Seite des Lebens von Charly Davidson. Doch der Sänger/Songwriter hat auch Sorgen und, aus seiner Sicht der Dinge, auch allen Grund dazu. Die Ausgangslage ist nicht unkompliziert. Nach dem kometenhaften Aufstieg zu Beginn der 80er-Jahre aus dem Nichts ins Musikfernsehen, in Talkshows und in Interviews mit den renomierten Tageszeitungen, inklusive eines überschwenglichen Lobes durch einen Literaturpapst und dem verriss durch den anderen, geehrt mit viel Gold und sogar Doppelplatin für seine Alben und nominiert für zahlreichen Echo-Musikpreise (von denen er zwei erhielt) - nach all diesem stetig nach oben führenden Weg kam mit den letzten beiden Alben ein Absturz: 100.000 stattzuvor mindestens 500.000 verkaufter Alben, dazu die Abwicklung des langjährigen Vertrages mit seiner früherne Plattenfirma zwei Monate vor dem Veröffentlichungstermin des letzten Albums dort: 'Begräbnis". Danach folgte auf dem eigenen Label 'Wissen-Schafft-Macht' mit ebenfalls eher bescheidenen Verkaufserfolgen.


"Ich habe ein Problem damit, den geringeren Erfolg von 'Begräbnis' und 'Wissen-Schafft-Macht' zu beweinen, weil ihre Verkaufsergebnisse immer noch weit über dem liegen, was ich mir zu Beginn meiner, ich sag das jetzt mal in Anführungszeichen 'Karriere' für meine Platten vorgestellt hatte", sagt Davidson. So habe er sich vor einiger Zeit dazu entschlossen, sich mehr um sich selbst zu kümmern, mit allerlei ungewöhnlichen Instrumenten zu arbeiten und wieder auf den vertrauten Synthesizer zurückzugreifen.

Nun steht das Ergebnis dieser Arbeit kurz vor seier Veröffentlichung und heißt 'Reizwolf'. Nun ist er zurück, und seine Begleitung ist eine andere geworden, hat sich erneuert. "Vor drei Jahren, im Sommer 2002, habe ich gemerkt, dass ich schon anderthalb Jahrzehnte mit den gleichen Leuten zusammenarbeite, zusammenspiele. Das klingt blöd, war aber genauso. Ich spürte plötzlich, dass da irgend etwas fehlte, an Inspiration, an Reflektion, an sonstwas. In einer Ehe würde man sagen: man hat sich auseinander gelebt. Nun war das ja meine Begleitung über die ganzen Jahre. Ich bin bei der EXPO-Nachfeier 2002 in Hannover von der einen Seite auf der Bühne gekommen, die Band kam von der anderen Seite und mir war das Herz so am Pumpen", erinnert sich Charly Davidson. "Das sind so Situationen, wo die Absurdität zuerst irgendwie noch Spaß macht. Aber ich habe gemerkt, das da etwas nicht mehr stimmt und auch nicht mehr stimmig gemacht werden kann. Trotzdem war ich dann auf der Bühne total ruhig, sang meine Lieder, machte meine Scherze und wusste, das wird auseinander gehen und sagte das auch, spontan - schwupps - so vor 2000 Leuten. Die Band war geschockt. Gut, so ist das Leben, manchmal."


Am Ende der Konzertes setzten sich alle zusammen und diskutierten, allen voran Helmut Prosa, Davidsons musikalischer Partner seit 1986. "Helmut und ich hatten gemerkt, dass wir uns musikalisch ganz schön runtergewirtschaftet hatten", sagt der Sänger. "Er meinte, wir sollten es doch noch einmal probieren, aber ich hatte so ein Gefühl von Vergeblichkeit." Trotz aller Bemühungen seines musikalischen Partners reiften trübe Gedanken bei Davidson. "Ich sagte ihm, dass ich eigentlich nichts vermisste, ohne meine Band. Helmut schlug mir dann vor, 'Wissen-Schafft-Macht' ohne die Band aufzunehmen, nur mit ihm und ich stimmte zu, weil wir in der Vergangenheit mit diesen eher intimen Produktionen öfters punkten konnten. Auch 'Korff Musik' ist ja im Grunde so entstanden. Und er ließ mir wirklich freie Hand für die Platte, aber da war er schon nicht mehr mit dem Herzen dabei. Und als 'Wissen-Schafft-Macht' sich dann schlecht verkaufte, fragte Helmut mich, wie man in nur fünf Jahren alles beschädigen könne, was man sich in zwei Jahrzehnten aufgebaut habe. Wäre das Album wenigstens ein Elektro-Musik-Album geworden, sagte er, dann hätte man es vielleicht noch vermarkten können. So aber hätte ich, und das ist der Originalton Prosa, das Studio als eine Spielwiese benutzt für eine 'Therapieplatte', wie er es ausdrückte. Später hat er das zwar noch relativiert und gesagt, im Grunde sei das Album ja gar nicht so schlecht, eigentlich ideal für ein Independent-Label, was mein Label damals ja noch war, aber, so sagte er mir, 'kommerziell ist anders'.“ Das sei der Grund gewesen, im Mai 2004 auch mit seinem langjährigen Partner zu brechen.

Jetzt hat er für 'Reinzwolf' neue Mitstreiter gefunden, allen voran Frank Wasa als Produzenten und Mick Szutor an der Gitarre. Inhaltlich stellte Davidson schnell fest, dass er für das neue Album die von ihm so vertrauten Statements zur Weltlage diesmal nicht abgeben möchte: "Ich habe gedacht: Im Prinzip habe ich das alles schon mal gesagt; wenn nicht in einem Song, dann in einem Interview zu einem Song." Auch sei er seiner Rolle als Sprachrohr überdrüssig geworden. Stattdessen: "Diesmal habe ich mich mehr für das Innenleben der Dinge interessiert."

Was auf 'Reizwolf' zu finden ist, klingt ungewohnt düster für die bisher meist fröhlich daherkommende Rocklegende. Besonders der Titelsong des Albums, eine gehirnchirurgische Phantasie über Deutschland, geht weit über die Ansätze der Melancholie heraus, die sich Davidson bisher zugestand. "Es ist schon total seltsam, etwas zu schreiben, was ich am Abend vorher meiner Freundin auf dem Balkon nicht gesagt hätte", sagt er. Mit Freundin ist Ursula Maus gemeint, seine Kommunikationstrainerin, für die er sich nach fast 25 Ehejahren im vergangenen Jahr von seiner Frau Sabine - mit der er zwei Kinder hat - trennte. "Das Verhältnis zur Familie ist sachlich", erklärt er, "das Scheidungsverfahren läuft." Und danach, so viel sei sicher, werden Uschi und er heiraten, ob nur standesamtlich oder auch mit kirchlicher Trauung, wisse er noch nicht. Soviel dazu, sagt er, und redet schon wieder über das kommende Album.

"Ich wollte mich so ratlos dastehen lassen, wie ich mich derzeit fühle. Ich bin auf dieser Platte definitiv weniger schlau als auf den anderen. Weil es auch so war." Doch natürlich ist 'Reizwolf' kein reines Verzweiflungsalbum. Es gibt die vertrauten Wortspielereien in 'In guter Gesellschaft'; es gibt mit 'Wach auf' den Powerpop-Song in der Nachfolge von 'Alle auf einen' oder 'Überflieger'. Mit dem überkandidelten 'Blechreiz' nähert man sich sogar Balkan-Pop-Gefilden. Das vielleicht gelungenste Lied im bekannten Davidson-Stil ist 'Heimatkunde', eine Erinnerung an Davidsons' Kinder- und Jugendzeit im Milieu der Sechziger und Siebziger. Die Geschichte, die erzählt wird, handelt von heute noch geläufigen Gefühlen, die aber oft vergessen werden, "übersehen", wie er es nennt. "Mir war es wichtig, keinen distanzierten Blick darauf zu haben, weil man sonst ganz schnell beim Kabarett ist", sagt er als Texter, wie er betont, der den "ehrenhaften Ansatz" hinter der Hippie-Idee durchaus anerkennt. Nur sei es wohl zu drastisch gewesen, alle Menschen mit dem Hippie-Leben auch gleich mit den tradierten Vorstellungen vom monogamen Liebesglück zu konfrontieren und ihnen freie Liebe vorzuleben: "Man hätte besser erst mal in der Meditation versucht, den einen oder anderen Gedanken loszulassen."

Aber Davidson versucht auf 'Reizwolf' auch eine Art der 'Rebellion', so ein weiterer Songtitel. "Wenn etwas politisch an dieser Platte ist, dann dass sie mir keine Wahl lässt als sehr offen über die Abgründe zu reden, in die ein zu hoher Anspruch an die zwei Seiten des gespaltenen Herzens führt", sagt Charly Davidson. Schließlich würden dieses gefährliche Gefühl der Überforderung alle Menschen kennen, die einen Beruf haben, der sie früher einmal mit Leidenschaft erfüllt hatte und der heute nur noch eine Last sei. "Interessanterweise war nicht ich der erste, der Magengeschwüre oder ein Burnout-Syndrom entwickelt hat, sondern Leute mit einem normaleren Leben, aber in dem gleichen Spannungsverhältnis." Das gelte im Besonderen für junge Mütter, sagt er, der mit seiner Bald-Ehefrau Ursula Maus mit 'Die blaue Kugel' eine Initiative gegen häuslische Gewalt und für bessere Lebensbedingungen für allein erziehende Mütter gegründet hat. "Die meisten jungen Mütter, die arbeiten wollen, stecken einen Großteil dessen, was sie verdienen, in Betreuungskosten, damit das überhaupt klappt mit dem Arbeiten." - Dann sagt er, er müsse gehen, verabschiedet sich, entschwindet in den Fahrstuhl und grinst dabei.

Resumee: Davidson gab sich an diesem Abend locker: Jeans, schwarze Cordjacke, schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck 'Reizwolf'. Aber seine zusammengepressten Lippen und der hohe Meharis-Zigarillo-Konsum verraten ihn: Die Rocklegende war und ist angespannt. Keine Frage: Das neue Album muss funktioniern. Das ist Davidson seinen Fans, vor allem aber sich selbst schuldig und das ist seine Hauptsorge.