Interview mit Charly Davidson im ONLINE DIENST:
Herr Davidson, welche Musik fanden Sie als Kind gut?
Davidson: Ich habe sehr früh angefangen, mich für Rockmusik zu interessieren. Zu meinem elften Geburtstag, hat mir meine Tante das weiße Album von den Beatles geschenkt. Meine walisische Tante. Das hat mich fasziniert, die Melodie, die Sprache. Die zweite Schallplatte mit zeitgenössischer Musik war dann „Beat 69“ von John Deen and The Trakk.
Sie haben über zwei Dutzend Platten veröffentlicht, Ihre letzte vor wenigen Monaten. Welche Bedeutung hat ein neues Album noch für Sie?
Davidson: Die gleiche wie zu Anfang, 1982. Nur der Markt hat sich verändert. Wenn man weiß, dass man heutzutage zwei Drittel weniger verkauft, was alle Kollegen betrifft, dann ist das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Ertrag nicht mehr so wie früher. Aber natürlich mach ich's trotzdem gerne, schon wegen des Gesamtwerks. (Davidson lacht)
„Reizwolf“ nennt sich Ihre aktuellen Platte, die in wenigen Tagen erscheinen wird. Aber besonders aggressiv klingt sie nicht.
Davidson: Auf diesem Album gibt es ungewöhnlich viel Privates, fast so, als hätte ich das Leben dieses Mal direkt umgesetzt, was ganz eindeutig mit meiner neuen Frau zu tun hat. Obwohl sie mich jetzt korrigieren würde und mir sagen würde, dass man das Wörtchen ‚tun‘ tunlichst vermeiden sollte. In meinem bisherigen Leben habe ich mich, mit privaten Bekenntnissen etwas schwer getan, Liebeslieder zum Beispiel immer handwerklich erfunden.
Ein Lied heißt „Unsterblichkeit“. Möchten Sie gerne unsterblich sein?
Davidson: „Unsterblichkeit“ ist einfach ein Liebesgedanke. Durch glückliche persönliche Umstände ist mir mittlerweile eben diese Unsterblichkeit von Gefühlen vermittelt worden, mir selbst auch mal ein ganz profanes, lieb und ehrlich gemeintes Liebeslied ermöglicht.
Nun haben Sie aber immer noch nicht gesagt, warum das Album „Reizwolf“ heißt.
Davidson: Ich fand einfach den Titel spannend. Und wenn ich texte, gehe ich ausschließlich nach dem Wortgefühl. Wortklänge können mich mitreißen, dann baue ich schnell um das erste Wort herum, das, was mir gerade so einfällt. Das hat nicht immer einen großen Plan. Erst wenn ich fertig bin, schaue ich, was das eventuell für einen Gehalt hat. David Lynch, der Regisseur, hat einmal gesagt, dass ihm Ideen zufliegen und er sie bündelt und am Ende an Zügeln hält und sich ziehen lässt, wobei er es den Gedanken mit der größten Kraft überlässt, die Richtung zu bestimmen. Das umschreibt sehr poetisch, wie auch ich manche meiner Texte schreibe.
Das heißt, jede Äußerung, die raus muss, jede ihrer textlichen Kunst, ist als Reiz oder Anreiz zu verstehen?
Davidson: Nicht jede Äußerung. Jede gelungene Form. Eine gelungene Form liefert ein Modell, wie es auf der Welt sein könnte. Ich weiß, bei meinem Material gibt es sehr polarisierte Reaktionen. Es gibt Leute, die das wirklich toll finden und Leute, die es hassen. Ich suche diese Konfrontation nicht, aber letztlich sind Konflikte ja ein ganz schönes Gewürz im Leben.
In einem Song geht es um den Krieg gegen den Terror, um den Einmarsch der USA und anderer Nationen in den Irak, um Bundeswehreinsätze. Gehört der Wehrdienst abgeschafft?
Davidson: Das ist eine schwierige Frage, denn heutzutage, unter den weltweit veränderten politischen Situationen so etwas wie Wehr und/oder Gegenwehr zu rechtfertigen ist schwierig. Aber ich kann mich mit dem Gedanken der Abschaffung von Wehrpflicht anfreunden. Wehrdienst ist demzufolge für mich ein Beruf. Wer ihn ergreift, dem sind die Folgen, nämlich der eigene Tod oder der Tod anderer Menschen, bewusst.
Sie haben den Wehrdienst vermutlich verweigert?
Davidson: Das musste ich gar nicht. Ich war untauglich, weil ich als Schüler eine Lungenkrankheit hatte und bei der Musterung einen Leistenbruch. Das hat mir sowohl den Bundeswehr- als auch den Ersatzdienst erspart.
Ihr erster Hit hieß „Buschmann“, das zeigt schon Ihr, zumindest gedankliches, Engagement für die sogenannte „Dritte Welt“. Sie haben diesbezüglich schon viel geschrieben. Wollen Sie damit die Leute aufrütteln, zu besseren Menschen machen?
Davidson: Das kann ich nicht ausschließen, obwohl das sehr schwierig ist, also, Säugetiere zu erziehen. Vor allem wollte ich mit „Buschmann“ ein Lied mit Augenzwinkern schreiben und mir fiel für die Titelzeile nichts Besseres ein. In dem Alter tut man sich ja auch mit großen Bekenntnissen etwas schwer, man findet so was eher „einfach gut“. Vielleicht findet sich ja noch mal eine Plattform, um den Menschen das Ganze aus heutiger Sicht näher zu bringen.
Nächste Station „Dschungelcamp“?
Davidson: Sie werden lachen, aber das wurde mir tatsächlich von RTL angeboten. Und das, obwohl ich ja schon mal fünf Tage bei "I’m a Celebrity, Get Me Out of Here!", dem Original von ITV1, verbracht habe. Aber noch mal kommt so etwas für mich nicht mehr in Frage. Lieber spiele ich jetzt in Deutschland den Reizwolf.
Sie haben ja einst als Sänger einer Politrockband angefangen. Würden Sie aus Sicht des Jahres 2005 sagen, das Protestpolitik oder -kultur wirkungslos geblieben sind, vielleicht sogar gescheitert?
Davidson: Angefangen habe ich mit Elektro- und Folkmusik, aber das nur nebenbei. Wirkungslos: Ja, gescheitert: Nein. Das waren ja meist schlechte Protestlieder, ich würde den meisten von ihnen sogar noch nicht einmal den Titel Protestsong verleihen. Auch ich habe da Sünden begangen, aber ich war damals ja auch noch Jugendlicher - „Jugendlicher Leichtsinn“, sagt man das nicht so? (Anm.: Davidson nimmt sein blaues Notizbuch und schreibt es sich auf) ... sehen Sie, so komme ich zu meinen Ideen. „Jugendlicher Leicht-Sinn“, ein schönes Wortspiel, mal sehen, was später daraus wird. Wenn es was wird, können Sie sagen, sie seien dabei gewesen. ... Wie kam ich drauf? ... Ach so, die Protestlieder der Siebziger. Also, trotz allem gibt es auch Lieder, gerade von Hanns Dieter Hüsch, die einen sehr bewegen können. Wenn er in „Das Phänomen“ sang: „Nur wenn wir in uns alle sehn / Besiegen wir das Phänomen / Nur wenn wir alle in uns sind / Fliegt keine Asche mehr im Wind“ - das hatte mich anfangs zu Tränen gerührt. Der Hüsch hat eine große Stimme, ist ein toller Kabarettist und eine überaus beeindruckende Persönlichkeit. Seine kommunistische Irrfahrt Ende der 60er-Jahre hat er bitter bereuen müssen, aber man soll bei großen Künstlern nie so genau hinhören, wenn sie über Politik reden.
Meinen Sie damit auch sich selbst?
Davidson: Natürlich musste auch ich gewisse Aussagen im Laufe der Zeit revidieren. So ist das eben im Leben. Deshalb sollten wir auch nicht dogmatisch Ansichten von Musik- oder Politpopstars folgen.
Wir befinden uns in einem Bundestagswahljahr, Schröder hat im Mai aufgegeben. Auf welcher Seite stehen Sie?
Davidson: Ich bin ein Pragmatiker und ein eher bürgerlich denkender Mensch. Dazu bin ich mit Politikern verschiedener Parteien befreundet und kann ihnen hier und da mal einen kleinen Tipp geben.
Da möchten Sie Namen nennen, oder?
Davidson: Nein. Aber das spannt sich von der CSU bis zur PDS. Meine neue Frau stand ja früher mal der PDS sehr nahe. Ich merke durch sie, dass viele, die ihr Leben in der DDR gelebt und sich dort engagiert hatten, heute mit der Gesellschaftsordnung der BRD nicht zurecht kommen. Ich denke nicht, dass man alle verteufeln kann, die in ihren Biografien etwas Anständiges und Würdevolles haben. Suspekt sind mir eher die Menschen, die sich zu DDR-Zeiten dem Regime und der SED angebiedert haben. Darüber werde ich auch demnächst beim Archiv der Arbeiterjugend in Oer-Erkenschwick einen Vortrag halten.
Was als weiterer Beweis für Ihre Wandlung gelten kann.
Davidson: Das ist doch nicht verwerflich? Das ist die gesunde Entwicklung des Älterwerdens. Das ist doch wie in der Schule bei einem Klassentreffen, bei dem man ab einem gewissen Lebensalter auch mit ehemaligen Klassenfeinden durchaus auf gleicher Augenhöhe kommunizieren kann, ohne mit den Klassenfreunden zu brechen.
Ich danke Ihnen für dieses Interview.
Interviewer: Rolf Krause
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen