Montag, 29. Juni 2009

1994-06-26 | Sind tote Musiker die besseren Künstler?

fragt sich Bertrand Titz und hat hierzu ein Interview der Yellow-Press-Postille AKTUELL gelesen.

Ein Künstler zieht sich in die eigene Vergangenheit zurück: Deutsch-Rock-Elektroniker Charly Davidson will keine neuen Songs mehr schreiben und bastelt lieber an einem Monument.

Der als Charly Davidson bekannte Sänger und Komponist Karl David Korff, seit 1982 in der deutschen Musikszene nicht mehr wegzudenken, entsagte jüngst in der TV-Late-Show von Thomas Gottschalk offiziell dem Showrummel, trat bei der TV-Legende flegelhaft und mit Zottelbart auf. Und Davidson erklärte, er wolle fortan nur noch als Literat arbeiten.

Nun lies sich der Musiker von der Boulevard-Zeitschrift AKTUELL interviewen und präzisierte dabei seine Pläne. Angesprochen auf sein aktuelles Album "Massenkampf", das sich immer noch in den Top 50 der Deutschen Albumcharts hält, sagte er, dass er keine neuen Songs mehr schreiben würde und "Massenkampf" sein letztes reguläres Album sein wird.

Grund für das Ende: Charlys Ärger mit den Medien und vor allem den Plattenfirmen. "Gegen Ende des 20. Jahrhunderts scheinen viele Leute in verantwortlichen Positionen nicht mehr an ihre Mission zu glauben: Würde sonst das Traditionslabel EMI Elektrola nicht Helge Schneider unter Vertrag nehmen und dafür renomierte Musiker ziehen lassen. Oder der Sony-Konzern zum Beispiel, er kaufte zuerst das CBS-Label auf, entließ dann aber viele CBS-Künstler aus ihren Verträgen , baut nun neue Stars auf. Das haben so großartige Menschen wie etwa Ulla Meinecke nicht verdient." Doch Davidson geht noch weiter in seiner Kritik. "Erst wenn Du tot bist", sagte er der Zeitschrift AKTUELL "wirst Du wieder interessant für diese Labels" und er erinnert an Heiner Pudelko, der letztes Jahr starb, und dem dessen alte Plattenfirma WEA unter dem Titel „Mit artigsten Grüßen“ nun eine Kompilation widmete.

Das rege an zum Nachdenken, sagt Davidson. Es sei erstaunlich, "daß den Musikfans deren Lieblingsmusiker am liebsten tot serviert werden, weshalb sie der Gegenwart latent misstrauen." Ach ja: GLOBA, seine Plattenfirma, reihe er da nicht ein; ein Schelm, wer daraus die falschen Schlüsse zieht. Er, Davidson, jedenfalls widme sich derzeit neben seinen literarischen Exkursionen einer musikalischen Großproduktion, die er 1992 begonnen habe. Aus Songs und Liedfragmenten verschiedener Jahrzehnte baue er ein "Monument" zusammen; so solle das Werk dann auch heißen.

Neuneinhalb Stunden lang werde es sein und damit wohl das längste Musikstück der Welt. Bei welchem Label es erscheinen wird? Davidson habe gegrinst, so berichtet die Interviewerin der Zeitschrift AKTUELL, sich durch den Bart gestrichen und geschwiegen.

Dieser Text ist erschienen bei ororor-press © 1994; das Interview erschien in AKTUELL © 26/94

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