Mittwoch, 29. April 2009

2009-04-29 | Jeder, der ihn kannte, vermisst ihn

Erstmals nach dem Tode von Charly Davidson äußert sich Helmut Prosa in einem Interview zu seinem langjährigen künstlerischen Weggefährten. "Karli ein außergewöhnlicher Mensch, eigen, war gelegentlich Innovator der Musik, meist ein guter Texter und Lyriker, selten ein Arschloch. ", verrät der österreichische Musiker und Produzent in der neuen, am Donnerstag erscheinenden Ausgabe des STERN.

Sie waren beinahe zwanzig Jahre lang der musikalische Partner von Charly Davidson. Wie stark hat Sie sein Tod im letzten Jahr getroffen?

HP: Karli, wie ich ihn immer nannte, war ein Genie und ein Wahnsinniger zugleich. Wenn so jemand stirbt, mit dem Du beinahe dein halbes Leben zusammengearbeitet hast, dann trifft dich sein Tod doch sehr. Teilweise habe ich ihn ja öfter gesehen als er seine Frau. Seine erste Frau.

Kennen gelernt hatten sie sich ja im Sommer 1984. Wie kam es dazu?

HP: Im Sommer 1984 tourte Charly Davidson mit seiner ersten Band BEGLEITUNG und seinem damaligen Komponisten und Gitarristen Lukas Linde. Karli wollte zu einer größeren Plattenfirma wechseln, der GLOBA, und es gab da schon erste Kontakte. Da er sich dort wohl beklagt hatte, er bräuchte einen besseren Gitarristen und Komponisten, sprach mich damals John Gerland von der GLOBA an, ob ich mir nicht mal ein Konzert von ihm anschauen wolle. Ich lebte damals noch in Österreich, aber wenn John einem etwas riet, dann war da immer eine große Sache dahinter, also fuhr ich die mehr als 800 km von Klagenfurt nach Kassel und schaute mir Karli an.

War das Sympathie auf den ersten Blick?

HP: Das kann man so sagen. Mir gefiel seine Bühnenpräsenz, die Art, wie er zwischen den Songs kleine Geschichten erzählte - das hatte er übrigens von Peter Gabriel übernommen, wie er mir bei unserem ersten Treffen sagte -, und die Texte. Vor allem die Texte. Das musst Du dir vorstellen. 1984, noch lief die Neue Deutsche Welle, ich war gerade aus dem Falco-Clan ausgeschieden, weil mir das doch zu umfangreich wurde, das zweite Album von ihm sollte komplett verfilmt werden in den USA, na ja ... und dann sehe ich diesen Schlacks, damals war Karli noch recht dürr, und der singt Rocksongs über „Das letzte Tabu“ der Menschheit, darüber, wie ein Buschmann die Welt sieht, oder dass man nicht alles machen soll, was gut riecht. Das war für mich wie Andre Heller hoch zwei, intellektuell und witzig zugleich.

Natürlich habe ich auch zugleich die Schwächen im Programm gesehen und hatte schon ein paar Ideen, wie man das besser machen könnte. Darüber haben wir uns nach dem Konzert die ganze Nacht lang unterhalten und ein paar Wochen später habe ich ihn in Frankfurt Fechenheim besucht, er und seine erste Frau Sabine wohnten samt Tochter damals ja noch in einer Art WG neben einem früheren Tonstudio, und da spielte ich ihm am Küchentisch einen Song vor, den ich schon einige Zeit in der Schublade hatte und ursprünglich mal für Robert Ponger (Anm: der damalige Produzent von Falco) geschrieben hatte, den aber keiner haben wollte und Karli schrieb innerhalb von zehn Minuten den Text dazu: „Keiner liebt Dich, wieso ich?“. Also, um das hier noch einmal deutlich zu sagen, einen NDW-artigen Text zu einem meiner besten Rocksongs, aber es funktionierte und wurde ein Platz 3 in den Charts.

Karli hatte eines sofort erkannt: 1984 war die Zeit reif für Rockmusik plus lustigem Blödeltext. SPLIFF, mit Herwig Mitteregger war er ja seinerzeit stark befreundet, machten das schon vor, Heiner Pudelko und INTERZONE hatten denen den Weg aus der NDW geebnet (Anm: auch mit Heiner verband Charly eine intensive Brief-Freundschaft ), aber Karli war so konsequent das voll durchzuziehen. Er, der Intellektuelle, singt über Liebe und Sex und Beziehungen als großen Spaß. Das kam sicher auch aus der WG-Zeit. Aber es ist doch immer wieder amüsant, wenn man dran denkt, dass es Leute gab, die Zeit gebraucht haben um den Sinn eines Satzes wie „... sie liegt auf dem Boden, während sie sie kicken“ zu entschlüsseln. Da wurde sogar häusliche Gewalt vermutet, dabei musste Karli aus index-technischen Gründen einen Buchstaben auswechseln und so entstand das Wort „kicken“. Mehr war da nicht an Gewalt. Als Charly Davidson hat er dieses Song/Text-Prinzip später weiter perfektioniert. 'Über einen schönen Song gehört ein böser Text, über einen harten Song ein lustiger'; das war sein Prinzip.


Nach sechzehn gemeinsamen Alben gab es dann 2004 die Trennung des Erfolgsduos Davidson/Prosa.

HP: Wir wussten ja alle, wer oder was der Grund dafür war - zeitgleich gab es ja die Trennung von seiner ersten Frau. Charly hatte Ursula, seine spätere zweite Frau, kennen gelernt und die hatte einen gewissen Einfluss auf ihn. Ich wusste schon ziemlich von Anfang an darüber Bescheid. Uschi hatte ja mal an einer Radio-Reportage über uns mitgewirkt (Anm: mit Titel „Charlys Prosa“), was Charly aber komplett wieder vergessen hatte, als beide sich Jahre später zufällig trafen. Damals schrieb mir ein Mitarbeiter des Radiosenders mehrere E-Mails, in denen er bezüglich Uschi sensibilisierte. Ich dachte mir „muss ich diese Frau kennen?“, schaute mir das Ganze dann eine Zeit lang an und sagte gar nichts dazu. Aber es war doch ziemlich schnell zu erkennen, dass sie ihn veränderte, formte. Dazu muss man wissen, dass Charly meist nur auf sich selbst hörte, wenn er etwas planvoll machen wollte. Mit seiner zweiten Frau gab es wohl eine Seelenverwandschaft - ob echt oder von ihr gespielt lasse ich hier mal offen, ich weiß es nicht - und plötzlich tat Charly Davidson dies und das und jenes, von dem er früher und nüchterner betrachtet die Finger gelassen hätte. Er war überzeugt, sich mit ihrer Hilfe gegen das Schicksal eines jeden Musikers, nämlich den Weg bergab nach der Erstürmung des Gipfels, stemmen zu können. Am Ende ging dann auch diese Beziehung in die Brüche und Charly war, so sehe ich das, wie ein angeschlagener Boxer ohne Hilfe aus der Ecke, auf sich allein gestellt.

Was ging in Ihnen vor, als Sie das sahen?

HP: Ich war entsetzt, dass er in TV-Shows Enten jagte, dann wieder seinen eigenen Tod inszenierte, war irritiert über seine wechselnden politischen Ansichten, überzeugt, dass ihm künstlerisch nur ein erfolgreiches Musikproduzententeam weiterhelfen konnte. Aber dazu war es ab 2004 offensichtlich schon zu spät, Charlys Name hatte keinen Ruf mehr, war für die Plattenfirmen ein Verlustgeschäft. Zudem war er für die Intellektuellen erledigt, für die Charts-Musikkäufer zu alt, für seine Fans zu unübersichtlich und teilweise auch enttäuschend. Ich denke, dass muss man auch mal so klar sagen, bei allen Erfolgen der 80er- und 90er-Jahre. Ich hatte ja auch nach der Trennung noch Kontakt mit ihm, bereitete unter dem Titel „ALLES ZU SEINER ZEIT“ eine DVD-Box mit den TV-Konzert-Auftritten von 1984, 1993 und 2000 vor, die allerdings dann niemand veröffentlichen wollte. Selbst er nicht auf dem eigenen Label. Jetzt nach dem Tode, gab es schon einige Anfragen nach der Box.

Fühlten Sie sich bei der Trennung hintergangen oder übergangen?

HP: Für Eitelkeiten war bei Charly nie genug Platz neben ihm. Ich habe das schon so gesehen, als das was es war: eine Trennung, die ihm beigebracht wurde, die positiv sein sollte für seine weitere Entwicklung. Die Trennung an sich lief ab, wie man sich das bei Charly vorstellen kann, wenn man ihn kennt. Wir hatten eine Unterhaltung über sein diffuses Image, er hörte sich meine Vorschläge an und kündigte zwei Wochen später den Vertrag mit mir und den anderen Musikern seiner BEGLEITUNG fristlos. Das kostete ihn zwar eine Menge Geld, weil das dann doch nicht so einfach ging, aber er war, um es mit einem seiner Liedtitel zu sagen, „Endlich frei“.

Sie machten aber nicht den Fehler, den sein erster musikalischer Partner gemacht hatte, nämlich Jahre lang nicht ein Wort mit ihm zu reden.

HP: Das ist ja albern und ging zudem gar nicht, denn wir waren weiterhin geschäftlich miteinander verbunden, hatten ein Tonstudio in Hanau und ich hielt Anteile an seiner Plattenfirma. Zwar übernahm seine zweite Frau anfangs die Kommunikation mit mir, schaltete dann aber schnell Anwälte ein, weil sie da, selbst als Kommunikationstrainerin, zu unerfahren war. Charly und ich hatten zwischen 2004 und 2007 wenig persönlichen Kontakt. Im letzten Jahr habe ich ihn dann noch ein-, zweimal persönlich getroffen, unser Verhältnis wurde besser, aber sein plötzlicher Tod hat dem dann ein jähes Ende bereitet.

Was denken Sie heute über ihre gemeinsame Zeit im Musikbusiness?

HP: Die Marke Charly Davidson war - zurecht muss man sagen - eine Zeit lang die Lizenz zum Gelddrucken für mich, für ihn, für die Plattenfirmen. Wir hatten in den genannten zwanzig Jahren fünf Top 10 Alben, ettliche erfolgreiche Singles, was für die Qualität des Duos Davidson/Prosa spricht. Dabei hatten wir auch noch unendlichen Spaß beim Musikmachen und -aufnehmen, beim Streiten und Diskutieren von Erfolgen wie Misserfolgen. Karli war ein außergewöhnlicher Mensch, eigen, wie es auch Falco auf seine Art war - mehr große Künstler kenne ich leider nicht so nahe -, war gelegentlich Innovator der Musik, meist ein guter Texter und Lyriker, selten ein Arschloch. So fällt meine Bilanz kurz und schmerzlos aus: Karli Davidson-Korff war das Beste, was mir als Künstler und Musiker passieren konnte. Er sei "larger than life", schrieb mal eine englische Zeitung in bewunderndem Ton, "größer als das Leben". Aber womöglich war am Ende die Wirklichkeit größer. Es ist jedenfalls unendlich traurig, dass er nicht mehr ist. Ich hätte mir mit ihm gut Spaziergänge unter älteren Männern vorstellen können, bei denen wir über Gott und die Welt diskutiert hätten. Wer ihn kannte, vermisst ihn.

Interview © 30. April 2009 bei MEDIENKONTOR. Die Fragen stellte David Widder.

Dienstag, 28. April 2009

2006-04-28 | Nebenbei bemerkt: Leonardo fährt jetzt Cabrio

Franz Althaus in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 28. April 2006:

An der Stadtbahn-Station hängt ein Charly-Davidson-Plakat, seit Wochen schon. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit laufe ich daran vorbei. Manchmal, wenn die Bahn länger braucht, schaue ich es mir an. Es lädt zu einem Konzert Mitte Mai in Stuttgart ein. Davidson lehnt mit dem Rücken vor einer Buswartehalle, blickt sinnierend nach oben, neben ihm ein Briefkasten. Zuerst waren mir die Schuhe aufgefallen, sie wirken schmutzig und abgelaufen, sind hoffentlich nicht in diesem industriell fabrizierten Gebrauchslook gehalten, der Lebensspuren als Lebenslüge ausweist. Der Schmutz scheint echt, der Abrieb erarbeitet zu sein. Vielleicht trägt er sie tatsächlich schon eine Weile an den Füßen.

Dann fiel mein Blick auf die akustische Gitarre, ein schönes Instrument der Firma Epiphone. Charly Davidson trägt dazu eine braune Wildlederjacke, die längst nicht mehr modern ist, was eigentlich für ihn spricht. Und wenn man dann endlich auf Augenhöhe mit ihm ist, kann man neben dem bebrillten Kopf des Sängers das Wort Reizwolf lesen. So heißt nicht nur seine neue Platte, sondern auch seine ganze Lebenseinstellung, die er ungefragt auf seiner Homepage erklärt. Es hat keinen Sinn, seine Worte hier zu wiederholen, nur so viel: sie waren Gelegenheit für mich in dieser wöchentlichen Rubrik etwas über ihn zu schreiben. „Wir leben in Zeiten, da werden selbst Zootiere nach China abgeschoben. Was soll man da den Terroristen, die uns das Dach über dem Kopf anzünden, anderes wünschen als: Guten Flug!", resigniert er dort. Dabei wird er erst 49 in diesem Jahr.

Früher mal hat Charly Davidson Texte geschrieben, in denen er seine politischen, poetisch-philosophischen und immer auch alleswisserischen Ambitionen charmant und gewandt zum Vortrag brachte. Das macht auf fast beklemmende Weise deutlich, was aus ihm geworden ist. Um zu begreifen, wo er nach seinem jahrelangen Überflug durch die nationale wie international Musikszene heute gelandet ist, nach seiner Hymne auf den Sozialismus, nach seinem elektronischen Lied für Gott und die Welt, nach Auftritten in dubiosen Fernsehshows, nach dem vorgetäuschten Tod, nach seinem gescheiterten Versuch, sich selbst für den Pop-Olymp zu nominieren und vor allem nach seinem öffentlichen Gebrüll im Kasernenhofton für mehr Qualität in deutschen Radios, sekundiert von einem Geseiere über den (O-Ton Davidson) „Schund, den Deutschlands Texter derzeit aufs Papier rotzen“, um also seinen Absturz vom Musik-Literaten zum Banalitäter ermessen zu können, muss man seine frühen Platten kennen und lieben.

Wer textet denn heute noch Lieder, bei denen eine Strophe wie folgt lautet: "Die Geschichten der Geschichten / Aus unendlich vielen Schichten / Meines Schädels, sie berichten / Über Angst und Über Leben / Über Liebe und Vergeben / Über Hoffnung und Erwarten / Über Träumen und das Starten / In ganz neue Atmosphären / Von Versagung und Begehren / Und versprechen zuzuhören / Wenn Du leis‘ zu ihnen sprichst / Ihren Zauber nicht zerbrichst / Finden sie Wege in Dein Herz / Und sie lindern Deinen Schmerz.“ - So hat er es geschrieben, einst, vor 25 Jahren. Heute ist davon bei ihm keine Rede mehr. Schon gar nicht, wenn er Leornardo Cabrio fahren lässt und neben ihm nicht Mona Lisa sondern Jeanette sitzt, die lieber Limousinen mag.

Nicht mehr lange, dann wird das Plakat verschwunden sein; genau wie jener, der früher einmal Charly Davidson war.

Montag, 27. April 2009

1992-12-08 | Tourneetheater

Charly Davidson äußert sich im Interview mit den LICHTBLICKEN zur neuen Tournee 1992/1993, die er unter den Oberbegriff „THEATER DEUTSCHLAND“ gestellt hat. Kurz bevor er zu den Proben im nördlichsten Deutschland auf der Ostseeinsel Usedom abreiste, haben wir sein Angebot genutzt, ihn eingehend zu befragen.

In der Presse war letzte Woche zu lesen, quasi als nachträgliches 'Geburtstagspräsent': „TORTOUR FÜR CHARLY DAVIDSON! Nachdem sein Album AUSBRECHER sich in den Chartplatzierungen als das am wenigsten erfolgreiche der letzten Jahren erwies, melden nun auch die Tour-Stationen weng Positives: Nur der Auftakt in Offenbach und das Konzert in Hamburg sind ausverkauft. Die Fans wollen Davidson nicht mehr so oft live sehen!"

ChD: Ich bin jetzt 35 Jahre alt und weiterhin sehr glücklich über die Akzeptanz meiner Musik und den Zuspruch der Fans. Eine „TORTOUR“ wird es erst geben, wenn mein Album „TOR“ erscheinen wird, und wann das ist, kann ich heute noch nicht sagen. Aber im Ernst: Solche Schlagzeilen sind immer falsch, abe wie schon Charles Foster Kane sagte: „Eine größere Schlagzeile macht auch die Nachricht größer“. Ich kann jedenfalls für unsere Tour den Zuschauern jede Menge Überraschungen versprechen, wenn es am 23. Dezember losgeht.

Zweiundzwanzig Konzerte kreuz und quer durch die Republik stehen Dir jetzt bevor, was sind die ersten Assoziationen, wenn Du an Deutschland denkst?

ChD: Ich denke an die Wiedervereinigung. Daß ich sie erleben durfte, ist wirklich unglaublich. Meine Eltern sind ja ausgewandert, bevor ich geboren wurde, kamen Anfang der 60er-Jahre zurück. Niemals hatte ich richtigen Kontakt zur DDR und zum dortigen Leben, bis ich vor fünf Jahren als einer der ersten Deutsch-Rocker Konzerte in der DDR geben durfte. Wohl auch dank meines anspruchsvollen Albums „SO! ZUSAGEN“, das den Oberen in der DDR Hierarchie wohl gefallen hat. Obwohl ich damals die Spannung und Unzufriedenheit mitbekommen habe, kam der Mauerfall für mich dann doch überraschend.

Hast Du Dich neben der DDR auch mit den Nachwirkungen der Nazi-Zeit und des Krieges auseinandergesetzt?

ChD: Mich hat die deutsche Vergangenheit sehr beschäftigt, das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Gesamtwerk. Mein Onkel war bei der SS und, nebenbei bemerkt, war und ist er ein unglaublich lieber Kerl. Schwierig für mich, damit umzugehen. Aufgrund der Geschichte meiner Familie ist mein Verhältnis zu Deutschland also nicht ohne Blessuren. Es bleibt weiterhin gespannt und wird wohl auch immer so bleiben. Zum Beispiel habe ich neulich geträumt, ich wache nicht in Frankfurt am Main auf sondern im Frankfurt/Oder der DDR-Zeit. Das war ein Traum, sage ich Dir.

Was vermisst Du an Deutschland, wenn Du im Ausland bist?

ChD: Wenn man länger im Ausland ist, hat an schnell das nicht-deutsche Weißbrot satt. Unser Schwarzbrot ist schon, so finde ich, eine große nationale Errungenschaft. Grundsätzlich kann ich als professioneller Querdenker natürlich nicht abstreiten: Wenn man nach wochenlanger Abstinenz ins neue Deutschland zurückkehrt, bemerkt man sofort, daß es bei uns gar nicht so schlecht ist. Ich sage da immer: „Der Neger lacht, wenn er von unseren Problemen hört“. Das ist nicht despektierlich sondern durchaus respektierlich gemeint. Wir dürfen hier in Deutschland eine Art persönlicher Freiheit genießen, die woanders nicht selbstverständlich ist. Vor allem nicht in Afrika, wenn einem dort von acht Kindern zwei an Krankheiten sterben, drei verhungern und womöglich die restlichen im Bürgerkrieg abgeschlachtet werden. Da lachst Du, wenn Du von Behindertenparkplatz-Benutzer-Als-Nicht-Behinderter-Problemen hörst - „Sie Lümmel. Fahren Sie da aber ganz schnell mal runter“ - oder von geregelter Mülltrennung. In Afrika machen die Ärmsten der Armen Müllbergrecycling um zu überleben, dort ist ein „Grüner Punkt“ eine Oase in der Wüste. Aber bei uns ist ja alles anders.

45 Jahre Bundesrepublik – Was sagt Dir das?

ChD: Es ist vor allen Dingen eine Friedensdemonstration. Es gibt in unserer deutschen Historie keine Zeit, in der so lange wirklicher Frieden herrschte. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen, wenn man ergründen will, weshalb es einigen Menschen in unserem Land zu gut geht.

Du hast ja nach Jahren den Konzertveranstalter gewechselt. Wie ist es wenn man mit einer völlig neuen Tourcrew arbeitet, neue Menschen, neue Mentalitäten?

ChD: Da sind erfahrende Profis am Werk, die wissen wie so eine Tournee funktioniert. Vielleicht muß man die Pressemeldungen auch im Zusammenhang mit unserem neuen Tourveranstalter sehen. Es gibt da viel Konkurrenzdenken.

Wer redet bei der Setliste mit?

ChD: Zunächst hatte ich gehofft, alle, aber es bleibt wohl, wie so oft, an mir und Helmut hängen.

Wie viel, und vor allem, wie lange wird geprobt?

ChD: Wie bei Gott: Sieben Tage. Länger hält die Konzentration nicht.

Wird, ähnlich wie beim Album „AUSBRECHER“, mehr Aufwand betrieben als früher?

ChD: Ja, aber die Bühnengröße, die Halle muß es zulassen. Die SCORPIONS können wir allerdings nicht mit auf Tour nehmen.

Zur Albumpromotion waren Du und Helmut ja mit Matthias Jabs, James Kottak und Francis Buchholz von den SCORPIONS beim ZDF und Thomas Gottschalk? Eine große TV-Samstagabendshow als Erlebnis - wie waren Deine Gefühle hierbei?

ChD: Oft und lange warten. Gottschalk war nett und mochte unseren Titel „Ausbrecher“ sehr.

Wie zufrieden bist Du persönlich mit Verkäufen und Chartplatzierungen des Albums?

ChD: Es ist OK, hätte aber noch besser sein können.

Hast Du die Ausbrecher-Stimmung aus dem Studio mit zum Tourstart herüber gerettet, oder bist Du schon beim nächsten Album?

ChD: Meine Rockermähne ist doch gut zu sehen, oder.

Was ist das für ein Chaos mit der zweiten Single? Erst sollte es „Immer wieder neu“ werden, dann „Schwarzfunkelde Sterne“, aber es gibt immer noch keine. Darunter leidet doch auch der Radioeinsatz des Albums.

ChD: Da ist kein Chaos, Helmut und ich hatten unterschiedliche Ansichten über den richtigen Titel. So etwas kann es geben. Wenn man gut miteinander befreundet ist, kann man damit gut umgehen. Also haben wir erst einmal gar nichts gemacht. Eine Doppel-Single wäre natürlich super gewesen, aber die wollte die Plattenfirma nicht. Jetzt kommt wahrscheinlich eine Livenummer aus dem Tourprogramm, die wir neu geschrieben haben.

Wie wird die heißen?

ChD: Das wird nicht verraten. Findet es bei der Tour heraus. Es wird auf jeden Fall um jemanden gehen, auf dem alle auf einmal herumhacken.

Hattest Du nicht sogar vor, die schwer politischen „Schwarzfunkelnden Sterne“ auf Englisch zu singen und auf die zweite Single zu packen. Hoffnung auf eine internationale Karriere als Rocksänger war das doch wohl nicht?

ChD: Natürlich nicht. Ich singe gern englisch, aber alle nationalen Kollegen, die das versucht haben, sind auf die Nase gefallen. In UK oder den USA wartet niemand auf deutsche Rocksänger, die haben selbst genug gute Bands. Da kann man nur mit musikalischen Alternativen punkten.

Ein Kommentar von Dir zu Helmuts Arbeit am Backkatalog. Der soll ja irgendwann einmal als „RÜCKSPIEGEL herauskommen. Wann wird das sein und wie ist es zu diesem Remasterprojekt gekommen?

ChD: Ein alter Fan, der mein Werk besser kennt als ich selbst und übrigens vor vielen Jahren meine Frau und mich zusammenführte, hat zusammen mit Helmut so lange gebohrt, bis ich ja gesagt habe. Ich bin niemand, der regelmäßig in seinen Erinnerungen wühlt und abgelegte Musikideen sind für mich abgelegte Musikideen. Leicht irritiert war ich aber gewesen, daß das alles so lange her ist, mit den Kneipenkonzerten oder so. Ob und wann das die GLOBA herausbringt, wird man noch sehen. Es steckt jedenfalls viel Arbeit von Helmut drin.

Ein neues Buch von Dir sollte im Herbst zur Frankfurter Buchmesse erscheinen? Kommt es noch und wie wird es heißen?

ChD: Erste Antwort: „Ja“, zweite Antwort „Fanwärme“. Aber das sage ich jetzt nicht, weil Ihr es seid, die mich interviewen.

Ein schönes Schlusswort! Wir bedanken uns im Namen aller Fans ganz besonders herzlich dafür, daß du dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten. Wir wünschen Dir gutes Gelingen bei den Bandproben und Toi, toi, toi !" - Wir sind alle natürlich gespannt und freuen uns riesig auf die kommenden Ausbrüche von Dir.

ChD: Viele Grüße und „Bis die Tage!“

Das Interview führte Gerald Hoffmann vom ChD-Fanclub LICHTBLICKE, veröffentlicht in deren gleichnamigen Fanmagazin © 1992

Samstag, 18. April 2009

1986-04-19 | Lichtblicke fürs Volk

Um gleich zu Beginn eines klarzustellen: Dieser Mann ist nicht nur zum Abtanzen, sondern zum Zuhören geeignet - deshalb wird aus ihm vielleicht in Kürze ein großer deutscher Star werden. Normalerweise sind Deutsch-Rock-Stars selten ausufernd intelligent, meist nicht vieldeutig, niemals analytisch und schon gar nicht schwierig. Außerdem tragen Deutsch-Rock-Stars normalerweise schöne Deutsche Namen: Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg. Bei ihm ist alles anders: TORNADO, die Stadt-Szene-Zeitung besuchte Charly Davidson.

Als Kind deutscher Auswanderer wurde er vor knapp dreißig Jahren in Wales geboren und trug da noch seinen deutschen Namen Karl David Korff. Spätestens seit einem Lied, das völlig untypisch für ihn war, mit dem er aber vor drei Jahren groß rauskam, kennen ihn die Deutschen unter seinem Künstlernamen Charly Davidson. Darin beschrieb er den Irrsinn der Welt aus Sicht eines Buschmann und das verschaffte ihm den Durchbruch in der Szene. War es bis dahin nur eine kleine intellektuelle Fan-Gruppe, die seine Konzerte besucht hatte, kamen ab diesem Zeitpunkt auf einmal die Massen, selbst Teenies fanden Gefallen an dem Mann aus Frankfurt. Jetzt hat ChD Spaß am Rockstar-Leben bekommen und will unbedingt ein „Hitparaden-Stürmer“ werden. Seine neue LP „Lichtblicke“ ist seit kurzem auf dem Markt und schon in den Charts. ChD steckt in den Startlöchern für seine bisher längste Tournee, die ihn von Mai bis Juli in mehr als fünzig Konzerten von Kiel bis Rosenheim durchs ganze Land führen wird.


TORNADO: Sie haben vor kurzem Falco als einen Wechselbalg zwischen Elvis und Heiner Pudelko bezeichnet, da konnte man meinen, Sie litten an Minderwertigkeitskomplexen. Oder wie war das gemeint?

ChD: Zu Anfang meines musikalischen Lebens litt ich vor allem daran, es sämtlich Musik- und Sprach-Werktätigen zeigen zu wollen. Da hieß es: "Hier kommt Charly, Platz da, ich kann Alles und das vielleicht sogar noch besser als ihr." Das erzeugte natürlich einen enormen Beweisdruck, führte zu Verkrampfungen und aufgrund meiner Unfähigkeit zum richtigen Umgang mit meiner Stimme, mußte ich mich mangels Beweisen selbst davon freisprechen. Wenn ich heute annehme, ich sei vielleicht gar kein guter Literat, dann wollen mir andere beweisen, dass sie es viel blumiger und viel böser können als ich und das macht mir meine Sache leichter.

Immerhin haben wir alle die Neue Deutsche Welle überlebt, mit der ich übrigens niemals ins Bett gegangen bin. Dafür wollte ich zu Anfang der 80er-Jahre musikalisch zu viel: Synthesizersequenzen mit Tanzmusik mischen, Jazz-Elemente im Jimi Hendrix Stil spielen, Steve Reich meets King Crimson machen. Und herausgekommen ist dabei viel provinzieller Müll. Erstaunlich war, dass dies trotzdem eine gewisse Fangemeinde hervor brachte. Es bedurfte viel Überredungskunst und einigen Schmäh meines neuen österreichischen Band-Gitarristen Helmut Prosa, damit musikalisch etwas zustande kam, das von mehr Leuten als zuvor als markant und zugleich zugänglich wahrgenommen wird. Helmut hat ja früher mit Falco gearbeitet und von ihm habe ich auch die Sicht auf Falco als Musiker. Die Bühnenarbeit ist enorm schwer, das liegt uns als deutschen Musikern überhaupt nicht im Blut, daran müssen alle hart arbeiten.


TORNADO: Weshalb ist Falco für Sie aber „Wechselbalg zwischen Elvis und Heiner Pudelko“?

ChD: Mann, das war ein Kompliment. Drücke ich mich denn so kryptisch aus? Wir sind Deutsche, das darf man nicht vergessen. Für mich zum Beispiel ist Elvis Presley der beste Sänger der Welt … vielleicht auch Roy Orbison mit seinem Wahnsinnsorgan, der könnte ja ohne Mikrophon auftreten. Und Pudelko ist das Gleiche in Deutschland. Aber wenn man weiß, daß man die nicht kopieren kann, und man sollte das auch gar nicht erst versuchen, schätzt man diese Doppelbegabungen im textlichen und gesanglichen Bereich wie dann auch Falco. Leute, die eine Bühnenpräsenz haben, die auch mit ihren Händen etwas anzufangen wissen.

Wir, die Deutschen, haben geniale Textdichter, die zugleich gehemmte Gestalten sind wie Ulla Meinecke, Herbert Grönemeyer oder Manfred Maurenbrecher, der am Piano festklebende Hobbit, der infolge seines gesamten Erscheinungsbildes niemals größere Publikumsmassen mitreißen wird. Dafür schreiben alle drei konkurrenzlos gute Texte. Heiner Pudelko von INTERZONE ist zum Beispiel der unglaublichste Sänger, der mir je in Deutschland begegnet ist. Was der drauf hat, ist für mich Blues- und Rock-Entertainment. Der hat, ebenso wie ich, mit seiner Band während der neuen Deutschen Welle drei Platten gemacht, die so außerordentlich gut sind, daß sie alle Ehren verdient hätte, die aber in der NDW keiner hören wollte. Aber Erfolg hatte man da ja nur, wenn man deutschen Dumm-Bumm-Schlager machte. Ich bin froh, dass ich da meinen „Buschmann“ hatte.


TORNADO: Sie kommen ja ursprünglich aus dem Polit-Rock. Wie würden Sie heute Ihren politischen Standort beschreiben?

ChD: Ehrlich? Auch nicht anders als vor zehn Jahren. Die SPD ist noch immer meine Partei, aber ich bin nicht mehr so ganz glücklich mit dem, was in ihr passiert. Ich habe mich ja während der 70er auch für die SDAJ und danach für die Grünen interessiert. Aber als Kommunist würde ich mich nicht bezeichnen. Vielleicht als gemäßigter Sozialist mit offenen Augen in alle Richtungen.

TORNADO: Wer Ihre politischen Ambitionen kennt, der muß sich natürlich fragen, ob Ihnen das nicht ungeheuer schwerfällt, jetzt populäre, leichtgängige Stücke zu schreiben, nachdem Sie jahrelang den großen Literaten gegeben haben. Sie haben doch sogar Literaturpreise bekommen.

ChD: Ich bin notorisch erfolgssüchtig, wollte immer ganz oben sein. Ich habe mich dabei immer gefragt, warum andere, weniger talentierte, NDW-Dummbeutel Hits haben und ich nicht, bis ich verstanden habe, daß man Hits nicht allein über Wortschöpfungen machen kann. Man muß Methoden finden, die es ganz vielen Menschen ganz unmittelbar leicht machen, ein Lied zu mögen und es zu kaufen. „Eh, es gibt da einen intellektuellen Song über ein Mädchen Klara und ihr Problem mit dem örtlichen Umweltamt. Haben Sie das da?“, das geht nicht gut. „Haben Sie die Single von dem Buschmann“, das funktioniert.

Auch mit dem neuen Album, „mit der Sonne auf dem Cover“, ist uns das gelungen. Bei „LICHTBLICKE“ konnte ich zum ersten Mal das machen, was mir bis dahin nicht möglich war: leicht quergedachte Texte auf eingängige Melodien zu schrieben. Für mich ist das immer noch intellektuell, es ist nur eine anwenderfreundliche Variante geworden, für alle, die dem Tiefsinn nicht so anheimgefallen sind. Eine Art elitäres Zwinkern ist aber immer noch da, für die Geistesmenschen, damit die merken: Wir verstehen uns noch immer.


TORNADO: Wie wichtig ist Geld für Sie?

ChD: Geld beruhigt enorm. Ich bin jedoch ungeeignet für Leben allein des Geldverdienens wegen. Ich möchte gern tun, was Bod Dylan geschafft hat: Als der genug Geld hatte, fing er an, nur noch Platten zu machen, die ihm selbst gefielen. Natürlich bringt so etwas jede Plattenfirma zur Verzweiflung. Aber schon Franz Kafka hat gesagt: Bücher, die uns gefallen, können wir zur Not selber schreiben. Um so zu arbeiten, braucht man ein Polster, das Kafka nie hatte, und das ist das Geld.

TORNADO: Erfolgssüchtig sind Sie, Geld wollen Sie scheffeln, quergedachte Lieder für das Volk machen und dazu noch zehn Gebote für die Menschheit verbreiten. Wie soll das klappen?

ChD: Schwierig, schwierig. Ich sehe es an den Briefen, die mich erreichen. Darunter sind nette und verkopfte, kurze lustige und einige seitenlange, in denen die Briefschreiber von mir Ratschläge für ihr Leben erwarten. Ich ärgere mich selbst darüber, wie sehr ich wohl von manchen Leuten als Guru gesehen und gehört werde. Für die bin ich ein Messias, die legen den Charly auf, wenn es ihnen schlecht geht und hoffen in meinen Songs die Lösung für ihre Lebensprobleme zu finden. Ich bin aber kein Heiland und auf bestimmte Positionen festnageln lass ich mich schon gar nicht. Ich kann nicht genug seriös den Allwissenden spielen, um es zu schaffen die ganze Menschheit zu missionieren. Obwohl ich es mit meinen Deutsch- wie Englisch-Kenntnissen heute einfacher hätte, als der Aramäer seinerzeit. Warten sie es doch einfach mal ab.

Das Interview führte Siegfried Hoffmann.

Sonntag, 5. April 2009

2007-08-05 | Die Kunst, die Moral und ein Rückzug aus dem Musikgeschäft

Interview vom 05.08.2007 aus dem TAGESSPIEGEL AM SONNTAG
Interviewer: Hermann Nettelbeck


Ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung seines letzten Albums und wenige Tage vor Beginn seiner im letzten Jahr auf 2007 verschobenen „REIZWOLF“-Tour hat Rockpoet Charly Davidson alias Karl David Korff jetzt überraschend seine live-musikalische Karriere für beendet erklärt und sämtliche Konzerte abgesagt. In einem Interview äußert er sich zu den Gründen.

TAS: Warum haben Sie alle weiteren Konzerte abgesagt. Einige waren doch bereits ausverkauft?

ChD: Ich bin derzeit unfähig, Konzerte zu geben, wenn ich nicht eine innere Ursache zum Singen bemerke. Das heißt, ich will eigentlich nur singen, wenn ich entweder besonders traurig oder besonders fröhlich bin. Richtig fröhlich bin ich aber leider maximal zwanzig Tage im Jahr und tieftraurig vielleicht ebenso oft. Mir fehlt seit einiger Zeit eine gewisse Grundprofessionalität für die großen Bühnenauftritte. Punkt neun vor die Scheinwerfer zu treten, nur weil 1000 oder 2000 Leute Eintritt bezahlt haben, das führt zu einer gewissen Trostlosigkeit, wenn einem die Motivation zum Rock 'n' Roll fehlt.

Was ist mit dem Druck: „Heute Abend muss ich auf die Bühne, wenigsten der Fans wegen, die dafür Eintritt bezahlt haben.“

Die berechtigten Erwartungen des Publikums würden mich zum Vorgaukeln einer Stimmung zwingen, die nicht wahrhaftig ist. Es gibt Musiker, die behaupten, sie bekämpfen ihre Bedenken gegenüber dem Publikum dadurch, dass sie auf die Bühne gehen und das volle Haus in die Knie zwingen. Das sehe ich völlig anders. Bei den vergangenen Touren konnte ich Auftritte nur mit Hilfsmitteln vollbringen. Ich erzeugte so meine Stimmung künstlich.

Mit Drogen?

Mit Drogen habe ich so meine Erfahrungen gemacht, das ist richtig. Aber nicht hier. Ich bin eher durch Zufall darauf gekommen, dass bei mir die Einnahme einer bestimmten Schmerztablette, wenn ich überhaupt gar keine Schmerzen habe, eine Euphorie auslöst, die etwa die zwei Stunden des Konzertes andauert. Genau das war es, was ich auf meinen letzten Touren brauchte und das war ein unfassbarer Selbstbetrug. Mehrere Jahre habe ich dieses Konstrukt für meine Auftritten benutzt. Dies obwohl ich ein viertel Jahrhundert davor einen Song über genau diese Situation geschrieben hatte.

War das der Grund, jetzt mit Livekonzerten aufzuhören?

Ja und nein. Die Konzerte zu Beginn der „Reizwolf“-Tour habe ich bereits ohne Tabletten absolviert, aber es war nicht dasselbe wie in früheren Jahren. Aber die Tabletten wieder einzunehmen, anzunehmen, war für mich keine Option, denn früher gab es auch schon mal Entzugserscheinungen, wenn das Zeug nicht mehr richtig wirkte. Beim Rasieren habe ich da schon mal gleich noch die Hälfte meines Kopfhaares mit entfernt oder ich habe mich mehrmals auf der Bühne knapp neben einen Stuhl gesetzt. Sie erinnern sich? Das Publikum feierte diese Einlage immer als Metapher, aber es war bitterer Ernst. Das wurde es höchste Zeit, meine Abhängigkeit von der Firma Merckle Ratiopharm zu beenden.

Wollen Sie tatsächlich niemals mehr öffentlich auftreten?

Heute weiß ich: Eine meiner Talentgrundlagen ist eine bestimmte Art von verfeinerter Wahrnehmung. Es ist, als baute sich um mich ein Spinnennetz auf, in dem sich die Merkwürdigkeiten des Lebens verfangen, die andere einfach übersehen. Das Netz webt sich außer Haus besser, als im stillen Kämmerlein. Dann habe ich inzwischen begriffen,, dass das, was für mich in all seiner Erstaunlichkeit mittlerweile schon fast selbstverständlich scheint, für andere so interessant ist, dass ich sogar davon leben könnte, wenn ich ihnen nur davon erzählen würde.

Ist Tucholskys Anspruch, die Welt zu verändern, noch wörtlich zu nehmen?

Das ist für mich ein Muß. Seit meiner Zeit als FLIESSBAND-Sänger, seit meinem ersten Kleinkunstprogramm „Ich gebe zu ... Bedenken“, seit meiner ersten Schallplatte. Jeden Albumtitel habe ich mir unter diesem Credo ausgedacht. Ein Lied kann das genauso erreichen wie ein grandioses Buch oder eine brillante Rede. Das ist auch, was Tucholsky mit seinen Texten wollte: Einmal die Sicht verschieben im Kopf des Lesers oder Hörers - und dann kommt sie nie mehr ganz in die alte Spur zurück.

Kurz vor der Veröffentlichung Ihres Albums „BEGRÄBNIS“ vor fünf Jahren haben Sie eine Fernsehsendung produziert, die ihren eigenen Tod verkündete. Was war der Grund hierfür? Bisher haben Sie darüber kaum gesprochen.

Es gibt ein altes Sprichwort, das lautet: „Du musst erst sterben, damit sie dich leben lassen. Aber dann lebst du lang.“ Ich wollte den Ruhm, der mir zusteht nicht erst in des Totenmanns Kiste während meines Radieschen-Studiums auskosten. Also habe ich mit Freunden einen Film über mich gedreht, der ohne Vorwarnung in Alexander Kluges DCTP-Abendprogramm bei RTL eingeschoben wurde. Plötzlich tauchte eine Fernsehansagerin auf und verlas die Mitteilung, der als Charly Davidson bekannte Karl David Korff sei beim Paragliding in den Alpen abgestürzt und verstorben und man ändere ihm zu Ehren das Programm für einen Nachruf. Die Reaktionen aber waren auch für meine Vorstellungen unfassbar. Fernsehteams versuchten so schnell wie möglich in die Berge zu kommen. Meine schlimmsten Feinde sagten im TV, wie sehr sie mein Tod erschüttert habe. Es gab Tumulte um die Frage, ob mir ein Ehrengrab in meinem Heimatort oder in meiner derzeitigen Heimat zustände. Hunderte Fans pilgerten zu meinem Haus. (…) Das war ein Skandal! Die BILD-Zeitung erklärte mich zum meist gehassten Deutschen, weil ich die Pietät von Toten verhöhnt hätte. Sogar Alexander Kluges Sendeplatz bei RTL sollte ihm abgenommen werden. In diesem Moment war ich ein wirklicher Künstler.

Was ist mit Ihrem letzten Album?

Den „REIZWOLF“ habe ich durch meine eigene Plattenfirma veröffentlicht. Deshalb konnte ich jetzt auch die Tour absagen. Das geschah sozusagen auch zuliebe der Fans. Es würde Ihnen, und dass darf man mir ruhig glauben, massivst geschadet haben, wenn ich die Tour begonnen hätte um dann erst abzubrechen. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass sie mich verstehen werden.

Werden sie Charly Davidson trotzdem weiter lieben?

Es gehört zu meinem Markenzeichen, gleich oft das Genie und dann wieder der Scharlatan zu sein, heute Erneuerer und morgen der Idiot. Deshalb wird mein nächstes Album ja auch „TOR“ heißen. Ich bin eben ein Überlebenskünstler und bisher hat das noch jedes Mal funktioniert.

Den Deutsch-Rock-Künstler Davidson dürfen wir also nicht mehr live erleben, was ist mit dem Musikpoeten Karl David Korff? Sie sprachen ja gerade darüber, sogar davon leben zu können, wenn Sie nur Ihre Geschichten erzählen würden.

Angefangen habe ich ja vor drei Jahrzehnten als elektronischer Geschichtenerzähler und meiner FENDER F-25 Gitarre. Ich glaube das könnte mir auch heute Spaß machen. Natürlich neben meiner Arbeit an „TOR“.

Ein Album, welches Sie schon seit Jahren ankündigen und dessen Veröffentlichung Sie immer wieder verschoben haben ...

Sehen Sie, „TOR“ ist ein Konzeptalbum und wenn ich bei einer Plattenfirma unter Vertrag stünde, dann müsste es auch an einem Tag X, Y oder Z erscheinen. So bin ich aber autonom und kann alles selbst bestimmen. „TOR“ ist ein Konzeptalbum und das Konzept wird stetig von mir verbessert, verändert, vectorisiert. Und für die Fans hat doch das Abwarten seinen ganz eigenen Reiz.

Vielen Dank für das Interview.