Interview vom 05.08.2007 aus dem TAGESSPIEGEL AM SONNTAG
Interviewer: Hermann Nettelbeck
Ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung seines letzten Albums und wenige Tage vor Beginn seiner im letzten Jahr auf 2007 verschobenen „REIZWOLF“-Tour hat Rockpoet Charly Davidson alias Karl David Korff jetzt überraschend seine live-musikalische Karriere für beendet erklärt und sämtliche Konzerte abgesagt. In einem Interview äußert er sich zu den Gründen.
TAS: Warum haben Sie alle weiteren Konzerte abgesagt. Einige waren doch bereits ausverkauft?
ChD: Ich bin derzeit unfähig, Konzerte zu geben, wenn ich nicht eine innere Ursache zum Singen bemerke. Das heißt, ich will eigentlich nur singen, wenn ich entweder besonders traurig oder besonders fröhlich bin. Richtig fröhlich bin ich aber leider maximal zwanzig Tage im Jahr und tieftraurig vielleicht ebenso oft. Mir fehlt seit einiger Zeit eine gewisse Grundprofessionalität für die großen Bühnenauftritte. Punkt neun vor die Scheinwerfer zu treten, nur weil 1000 oder 2000 Leute Eintritt bezahlt haben, das führt zu einer gewissen Trostlosigkeit, wenn einem die Motivation zum Rock 'n' Roll fehlt.
Was ist mit dem Druck: „Heute Abend muss ich auf die Bühne, wenigsten der Fans wegen, die dafür Eintritt bezahlt haben.“
Die berechtigten Erwartungen des Publikums würden mich zum Vorgaukeln einer Stimmung zwingen, die nicht wahrhaftig ist. Es gibt Musiker, die behaupten, sie bekämpfen ihre Bedenken gegenüber dem Publikum dadurch, dass sie auf die Bühne gehen und das volle Haus in die Knie zwingen. Das sehe ich völlig anders. Bei den vergangenen Touren konnte ich Auftritte nur mit Hilfsmitteln vollbringen. Ich erzeugte so meine Stimmung künstlich.
Mit Drogen?
Mit Drogen habe ich so meine Erfahrungen gemacht, das ist richtig. Aber nicht hier. Ich bin eher durch Zufall darauf gekommen, dass bei mir die Einnahme einer bestimmten Schmerztablette, wenn ich überhaupt gar keine Schmerzen habe, eine Euphorie auslöst, die etwa die zwei Stunden des Konzertes andauert. Genau das war es, was ich auf meinen letzten Touren brauchte und das war ein unfassbarer Selbstbetrug. Mehrere Jahre habe ich dieses Konstrukt für meine Auftritten benutzt. Dies obwohl ich ein viertel Jahrhundert davor einen Song über genau diese Situation geschrieben hatte.
War das der Grund, jetzt mit Livekonzerten aufzuhören?
Ja und nein. Die Konzerte zu Beginn der „Reizwolf“-Tour habe ich bereits ohne Tabletten absolviert, aber es war nicht dasselbe wie in früheren Jahren. Aber die Tabletten wieder einzunehmen, anzunehmen, war für mich keine Option, denn früher gab es auch schon mal Entzugserscheinungen, wenn das Zeug nicht mehr richtig wirkte. Beim Rasieren habe ich da schon mal gleich noch die Hälfte meines Kopfhaares mit entfernt oder ich habe mich mehrmals auf der Bühne knapp neben einen Stuhl gesetzt. Sie erinnern sich? Das Publikum feierte diese Einlage immer als Metapher, aber es war bitterer Ernst. Das wurde es höchste Zeit, meine Abhängigkeit von der Firma Merckle Ratiopharm zu beenden.
Wollen Sie tatsächlich niemals mehr öffentlich auftreten?
Heute weiß ich: Eine meiner Talentgrundlagen ist eine bestimmte Art von verfeinerter Wahrnehmung. Es ist, als baute sich um mich ein Spinnennetz auf, in dem sich die Merkwürdigkeiten des Lebens verfangen, die andere einfach übersehen. Das Netz webt sich außer Haus besser, als im stillen Kämmerlein. Dann habe ich inzwischen begriffen,, dass das, was für mich in all seiner Erstaunlichkeit mittlerweile schon fast selbstverständlich scheint, für andere so interessant ist, dass ich sogar davon leben könnte, wenn ich ihnen nur davon erzählen würde.
Ist Tucholskys Anspruch, die Welt zu verändern, noch wörtlich zu nehmen?
Das ist für mich ein Muß. Seit meiner Zeit als FLIESSBAND-Sänger, seit meinem ersten Kleinkunstprogramm „Ich gebe zu ... Bedenken“, seit meiner ersten Schallplatte. Jeden Albumtitel habe ich mir unter diesem Credo ausgedacht. Ein Lied kann das genauso erreichen wie ein grandioses Buch oder eine brillante Rede. Das ist auch, was Tucholsky mit seinen Texten wollte: Einmal die Sicht verschieben im Kopf des Lesers oder Hörers - und dann kommt sie nie mehr ganz in die alte Spur zurück.
Kurz vor der Veröffentlichung Ihres Albums „BEGRÄBNIS“ vor fünf Jahren haben Sie eine Fernsehsendung produziert, die ihren eigenen Tod verkündete. Was war der Grund hierfür? Bisher haben Sie darüber kaum gesprochen.
Es gibt ein altes Sprichwort, das lautet: „Du musst erst sterben, damit sie dich leben lassen. Aber dann lebst du lang.“ Ich wollte den Ruhm, der mir zusteht nicht erst in des Totenmanns Kiste während meines Radieschen-Studiums auskosten. Also habe ich mit Freunden einen Film über mich gedreht, der ohne Vorwarnung in Alexander Kluges DCTP-Abendprogramm bei RTL eingeschoben wurde. Plötzlich tauchte eine Fernsehansagerin auf und verlas die Mitteilung, der als Charly Davidson bekannte Karl David Korff sei beim Paragliding in den Alpen abgestürzt und verstorben und man ändere ihm zu Ehren das Programm für einen Nachruf. Die Reaktionen aber waren auch für meine Vorstellungen unfassbar. Fernsehteams versuchten so schnell wie möglich in die Berge zu kommen. Meine schlimmsten Feinde sagten im TV, wie sehr sie mein Tod erschüttert habe. Es gab Tumulte um die Frage, ob mir ein Ehrengrab in meinem Heimatort oder in meiner derzeitigen Heimat zustände. Hunderte Fans pilgerten zu meinem Haus. (…) Das war ein Skandal! Die BILD-Zeitung erklärte mich zum meist gehassten Deutschen, weil ich die Pietät von Toten verhöhnt hätte. Sogar Alexander Kluges Sendeplatz bei RTL sollte ihm abgenommen werden. In diesem Moment war ich ein wirklicher Künstler.
Was ist mit Ihrem letzten Album?
Den „REIZWOLF“ habe ich durch meine eigene Plattenfirma veröffentlicht. Deshalb konnte ich jetzt auch die Tour absagen. Das geschah sozusagen auch zuliebe der Fans. Es würde Ihnen, und dass darf man mir ruhig glauben, massivst geschadet haben, wenn ich die Tour begonnen hätte um dann erst abzubrechen. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass sie mich verstehen werden.
Werden sie Charly Davidson trotzdem weiter lieben?
Es gehört zu meinem Markenzeichen, gleich oft das Genie und dann wieder der Scharlatan zu sein, heute Erneuerer und morgen der Idiot. Deshalb wird mein nächstes Album ja auch „TOR“ heißen. Ich bin eben ein Überlebenskünstler und bisher hat das noch jedes Mal funktioniert.
Den Deutsch-Rock-Künstler Davidson dürfen wir also nicht mehr live erleben, was ist mit dem Musikpoeten Karl David Korff? Sie sprachen ja gerade darüber, sogar davon leben zu können, wenn Sie nur Ihre Geschichten erzählen würden.
Angefangen habe ich ja vor drei Jahrzehnten als elektronischer Geschichtenerzähler und meiner FENDER F-25 Gitarre. Ich glaube das könnte mir auch heute Spaß machen. Natürlich neben meiner Arbeit an „TOR“.
Ein Album, welches Sie schon seit Jahren ankündigen und dessen Veröffentlichung Sie immer wieder verschoben haben ...
Sehen Sie, „TOR“ ist ein Konzeptalbum und wenn ich bei einer Plattenfirma unter Vertrag stünde, dann müsste es auch an einem Tag X, Y oder Z erscheinen. So bin ich aber autonom und kann alles selbst bestimmen. „TOR“ ist ein Konzeptalbum und das Konzept wird stetig von mir verbessert, verändert, vectorisiert. Und für die Fans hat doch das Abwarten seinen ganz eigenen Reiz.
Vielen Dank für das Interview.
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