Mittwoch, 9. Februar 2011

2006-02-09 | "Anfangs schrieb ich Songs aus sexuellen Gründen" - Bekenntnisse einer Rocklegende

Vor fünf Jahren in der BILD:

Er hat es nicht verlernt! Musik-Aktivist Charly Davidson (48, „Überflieger“) brachte vor kurzem wieder ein Album heraus und geht jetzt auf Tour. Ein BILD-Interview über Sex und Deutschrock und Rock 'n' Roll!


BILD: Nervt es Sie eigentlich, dass wir Sie immer als Deutschrocker betiteln?

Charly Davidson: „Nein. Sie tun das doch in dem Glauben, dass mich die meisten Leser vom Deutschrock her kennen. Was ja nicht so abwegig ist.“

BILD: Sind Sie es leid, immer in Deutsch zu singen?

Davidson: „Nein, sonst würde ich es lassen. Ich bin natürlich kein Zirkuspferd, das jahrein, jahraus das Selbe macht. Aber Deutschrock ist gut. Und es ist unglaublich, dass ich vor dreißig Jahren mal nur in Englisch gesungen habe.“

BILD: Wie lief Ihr allererster Auftritt ab?

Davidson: „In einem Klassenzimmer meiner Schule, 1975. Vor vielleicht 30 Leuten. Mir war das so unangenehm, vor Mitschülern zu singen - ich dachte, es würde fürchterlich in die Hose gehen.“

BILD: Ging es schief?

Davidson: „Nein, einige lachten zwar, aber anderen gefiel es - zum ersten Mal in meinem Leben fand jemand etwas gut, was ich machte. Dann, in der Pause, kam ein Mädchen zu mir und fragte: „Bringst du mir Gitarre spielen bei?“ Das war für mich der Moment der Erleuchtung!“

BILD: Und? Hatten Sie Sex?

Davidson: „Damals, mit ihr? Nein. Ich brachte ihr ja tatsächlich Gitarrenakkorde bei. Ob sie mehr wollte, weiß ich nicht. Zwei Jahre später war das natürlich völlig anders. Darin besteht doch der ganze Sinn, Rockmusik zu machen! Im Ernst: Als Junge hatte ich in irgendwelchen Erotik-Zeitschriften von Mädchen gelesen, die sich freiwillig Männern sexuell hingeben. Nur: Ich habe das natürlich nie, NIE geglaubt!“

BILD: Sie haben Ende des letzten Jahres ein Album veröffentlicht, das „Reizwolf“ heißt. Weshalb?

Davidson: „Weil ich Lust dazu hatte, denn Musik ist das Einzige, was mir wirklich Spaß macht. Mein Engagement, meine sonstige Arbeit sind mir inzwischen natürlich wahnsinnig wichtig geworden. Aber Songs zu schreiben, im Studio zu sein, zu singen - daran hängt mein ganzes Herz. Das ist angeboren, und ich bin in der glücklichen Lage, meinem Drang folgen zu können. Nach und nach häufen sich Dinge an im Hinterland meines Gehirns, wie Abrieb von Gedanken. Der muss irgendwann auch wieder raus und dann fange an, auf meinem Keyboard herumzududeln. Anfangs denkst du: Was das wohl wieder werden wird, bis plötzlich klar ist: Das ist es! So entstanden einige neue Songs. Natürlich alles Werke von ausgeprägter Intellektualität...“ (lacht)

BILD: Ein Lied klingt wie ein walisischer Folksong ...

Davidson: „Ja, Ich bin ja in Wales geboren, aber das war eigentlich nur ein Spaß ...“

BILD: ... es geht darin auch um Ihre Ex-Frau Sabine...

Davidson: „Stop: In dem Lied geht es um mein ganzes Leben. Eigentlich tragisch, 47 Jahre lassen sich tatsächlich in 47 Worten zusammenfassen (lacht). Und: Ja, dieser Teil gehört dazu. »Der Stachel einer Honigsabine« - vier Worte. Gut mit meiner ersten Frau waren es ein paar Jahre mehr.“

BILD: Keine Bitterkeit?

Davidson: „Nein. Ich gehe damit heute entspannt um, es ist nun mal passiert, wie es passiert ist.“

BILD: Wie kam es zum Album-Titel?

Davidson: „Bei einem Freund stand dieses Buch im Bücherregal, aus den 30er-Jahren: »Reizwolf«. Ich schlug es auf und las. Fantastisch! Ich habe dann gleich meinen Text gleichen Titels geschrieben und das war alles.“

BILD: So einfach ging das?

Davidson: „Kleine Kinder machen sich auch alles einfach.“

BILD: Trauern Sie Ihrer Jugend nach?

Davidson: „Ganz sicher nicht. Meine Jugend war frustrierend. Meine Eltern und ich und meine Schwester lebten in bescheidenen Verhältnissen. Wir hatten kaum Geld, nur ein Radio, keinen Fernseher. Ich hasste die Schule - und hatte Panik, dass mir nie was gelingen würde. Ich war ein richtiger Loser. Und dann rutschte ich in die Musik und mit einem Mal konnte ich Dinge ausdrücken, die ich zuvor nie hatte ausdrücken können.“

BILD: Wenn Sie Lieder schreiben odergeschrieben haben, waren Sie da jemals zugedröhnt?

Davidson:(lacht) „Nein. Niemals. Aber zugegeben: es geschah anfangs auch aus sexuellen Gründen. Das Tolle daran, Sänger in einer Band zu sein - damals war das dazu noch eine Politrockband - ist, dass du Frauen kennen lernst. Man tourt durch Friesland, wo nichts los ist, und man weiß: Heute Nacht werde ich flachgelegt. Ich konnte das ja, wie gesagt, nie glauben, aber es ist tatsächlich so passiert. Großartig! Rocksänger ist der beste Job der Welt, ich kann das jedem jungen Mann nur dringend empfehlen.“

BILD: Nur jungen Männern?

Davidson: „Auf Dauer ist es etwas ermüdend. Ich sage das nicht aus eigener Erfahrung, denn ich habe damals ja schnell geheiratet und nach der Scheidung heirate ich jetzt auch wieder ganz schnell. Aber man hat es mir berichtet. Ich war ja nicht alleine in meiner Band - man kann sagen, ich hatte ständig Begleitung. (lacht) Obwohl ich all das nie als Selbstverständlichkeit empfunden habe. Aber es kam durchaus und mehr als einmal vor, dass ich Backstage nach den Konzerten in der Garderobe mal was vergessen hatte und als ich es holen wollte, störte ich unseren Bassmann oder Schlagzeuger bei der Erledigung wichtiger Dinge. Das war so und wird wohl im Musikbusiness immer so bleiben.“


BILD: Dürften Ihre eigenen Töchter so etwas machen?

Davidson: „Sie wissen doch: Ich rede nie über meine Kinder.“

BILD: Sind Sie stolz auf beide?

Davidson: „Okay, ausnahmsweise: Ja, bin ich.“

Dienstag, 8. Februar 2011

2004-02-08 | "wissen-schafft-macht": Wohl wahr, Herr Davidson - aber eben nicht immer

Aus MUSIK ONLINE vom 8. Februar 2004:

Nun ist es vorbei mit Charly Davidson. Zumindest mit seiner "Todes-Trilogie", wie sie das Magazin SPIEGEL vor einiger Ziet taufte. Schmückte bei deren Teil 1 ("Dieletzte Ölung") noch eine Art Autopsie nebst Menschen das Albumcover, so folgte bei Teil 2 ("Begräbnis") eine Zigarettenschachtel mit dem obligatorischen Warnhinweis der EU-Gesundheitsminister als Grabstein. Nun beschließt ein schlichtes Fernsehtestbild die Trilogie und der Albumtitel "wissen-schafft-macht" erweist sich schon damit als gewollte Farce.

Gut, die Ideen gehen dem Kreativmeister der Deutschen Musikszene, der 1982 mit seinem phänomenalen Album-Debüt "Kontaktaufnahme" wie auch dem Nichts auftauchte und sich danach mit Hits wie anspruchsvollen literarischen Songs ("Die Nacht der Gewohnheit") sowie der Erfindung der Lounge-Musik Jahr um Jahr einen Namen machte, auch nach 22 Jahren nicht aus - jedenfalls, was Konzepte und Coverinnovationen angeht. Doch die Enttäuschung darüber, dass wir nie so intellektuell werden konnten wie es sich der schlaue "Odysseus" gewünscht hätte, ist diesem Album durchaus anzumerken.

Nachdem ihn die Vorspiegelung seines eigenen Todes beim letzten Album um seinen Ewig-Plattenvertrag mit der GLOBA gebracht hatte, versucht sich Davidson diesmal sogar als Entrepreneur und veröffentlicht dieses Album auf seinem eigenen Label CBQ. Aber die vielen Steine, die er - der weiblichen Wesen einst Texte wie "Niemand weint so schön wie Du" auf den nackten Leib schreiben konnte - bald 1000 Wochenenden lang bei diesen im Brett hatte (und sich für die Machos unter seinen Fans auch schon mal die SCORPIONS ins Bett holte), scheinen langsam abgewetzt, wenn nicht sogar schon gar nicht mehr vorhanden.

Mit "Ein Blitzen auf dem Schirm" und "Omnipotent" sind auch gute Tracks vorhanden, aber im Großen und Ganzen nimmt Charly Davidson mit diesem Album, als wohl schwächsten seiner Karriere, die falsche Ausfahrt. Tatsächlich ist dies hier die erste ChD-Veröffentlichung, die einem so richtig zur Last fällt, inklusive Möchtegern-Soul ("Soularium"), Billig-Rap ("Rapungsanker") und möglicherweise von der Insel eingeschleustem Zeitraffer-R&B ("Die, die nicht wissen"). So etwas ist von einem Künstler, der sich schon im Pop-Olymp wähnte, indiskutabel. Doch da oben, über den Wolken, in den letzten Nachtstunden, hätte man Davidson zu etwas ganz anderem raten sollen. Zum Beispiel sich "Sings For Only The Lonely" von Frank Sinatra anzuhören: "Now the rain's a-fallin', hear the train a-callin, 'Whooee!'". Da hätte er sich einigen abschauen können, denn er hat ja im Grunde recht: "wissen-schafft-macht".

So wird das jedenfalls nichts in der Verbesserung der angespannten Beziehung zwischen Fan und Künstler und der Eindruck bleibt, dass Davidson nun genau das tut, was man ihm bei "Die letzte Ölung" noch unrechtmäßig vorwarf: Sich selbst verwirklichen auf Kosten seines Rufs. Aber es wird sich wohl auch dieses Mal ein Praktikant finden, der "wissen-schafft-macht" für die beste Charls Davidson-Platte ever hält..."My mama was right / There's blues in the night".


(4 von 10 Punkten) Joe Riedel