Donnerstag, 7. Juli 2011

2005-07-07 | Der "Reizwolf" packt aus

Vor sechs Jahren in der Zeitschrift TEMPO Ausgabe 07/2005:

Wenn ein Musiker die Szene der 80er und 90er in Deutschland stark geprägt hat, zum Interview kommt, dann ist man immer gespannt, was einen erwartet. Ist er nett, verrückt, ein Gott (oder zumindest iene Legende) oder ein Arschloch. Bei eunserem aktueller Gast, Charly Davidson (weniger bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Karl David Korff) passte fast alles. Er ist nicht nur Sänger, Keyboarder und Gitarrist... er ist einer der kreativsten Köpfe der internationalen Musikszene, dazu noch Songwriter und Produzent vieler namhafter Interpreten und seine anderen musikalischen Projekte, an denen er beteiligt war, sind nicht selten Top-Acts geworden. In Jena betreibt er ein bekanntes Tonstudio (Anm.: die "jenaFarm") hat dazu noch eines inden alten Bundesländern ("Charly's Studio"). Gerade arbeitet er an seinem neuen Album "Reizwolf" und lebt in Scheidung von seiner Ehefrau Sabine, mit der er zwei Töchter hat.


Geboren am 01. Dezember 1957 in Wales begann Davidson schon während seines Studiums damit, aktiv in Bands Musik zu machen. Seine musikalische Reise begann beim Folk, ging weiter über Pop/Rock und ist inzwischen beim Genre der Loungemusik angekommen. Aber nicht in irgend einer nichtssagenden Ortschaft in Niedersachsen oder dem Saarland, sondern direkt im Herzen Großbrittaniens! Wer sich auch nur ein bisschen mit der Musik der 80er in Deutschland beschäftigt, stellt sehr schnell fest, dass der Name Davidson nahezu überall zu finden war. Manfred Maurenbrecher, Ulla Meinecke, Rainbirds, Reinhold Heil, Stephan Remmler, Marianne Rosenberg, Stefan Waggershausen, Kim Wilde und sogar Electra sind nur einige Namen, mit denen Davidson schon zusammen gearbeitet hat. Seine Markenzeichen: gelegentliche Hitgarantien sowie gut durchdachte und aufwendige Produktionen.

Umso mehr freuen wir uns, dass er uns als "Gast des Monats" Juni zugesagt, und TEMPO folgendes, sehr ausführliches Interview gegeben hat...

Hallo Charly, Du wohnst seit 1991 in Thüringen und hast dort ein eigenes Studio. Wie kam es zum Umzug in die neuen Bundesländer?

1990 war ich ein wenig ausgebrannt und suchte nach neuen perspektiven. Ich lebte ja bis zum Umzug nach Jena im Moloch Rhein-Main-Gebiet und hatte dann die Nase voll von der dortigen Geld-Kultur und der miesen Laune. Das war der oberflächliche Grund. Professionell ging es mir nicht sehr gut. Ich hatte wenig Perspektive. Keine Lust mehr, andere Musiker zu produzieren. Wenig Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten als Komponist und Texter. Schlechte Technomusik löste bei mir Verfolgungswahn aus. Da tourte ich diurch die neuen Fünfländer und fand mein Paradies in Jena und fing langsam an, mein Studio zusammenzupacken und umzuziehen.

Deinem Erfolg als Deutsch-Rocker folgte 1988 ziemlich unerwartet die Sache mit der Lounge-Musik und dem internationalen Erfolg. Schuld daran war deine Solo-Platte "Korff Musik". Bitte erzähl uns etwas über dieses Album und die Entstehung.

Ich habe ja schon als kleinen Junge, na, ja, sagen wir mal als junger Bursche, angefangen meine eigenen Synthesizerzu bauen. Also war mir das genre, das ich erfinden durfte nicht völlig fremd. Als das Konzept da war, wurde aus dem Funken ein Feuer und die Ideen kamen endlich. Die Scheibe war zwar nie ganz oben in den Charts, verkaufte aber konstant über mehrere Jahre und kam bis heute auf locker 500.000 Stück - wo ist die Platin-Platte, GLOBA ???? CARROT Music??? Whoever??? Noch nicht mal eine Goldene gab's dafür. Nur die Ehre, die Lounge-Musik erfunden zu haben. So ein Quatsch. Das ganze lag auf der Straße, oder flog so im Äther herum, und ich habe es einfachnur aufgesammelt. Glück war das, mehr nicht.

Nach der Synthesizersache hast Du mit 16 Jahren angefangen in Englisch zu schreiben und zu singen...

...was sich anbot, weil ich ja in Wales geboren wurde....

...ja, genau. Was waren die Gründe dafür, dass Du plötzlich in Deutsch gesungen hast?

Es gab einmal eine Politrockband in Frankfurt am Main und die hatten plätzlich kein Frontschwein mehr und schrieben trotzdem weiter Songs. Manche Texte waren eher provisorisch, manche literarisch, aber alle auf Deutsch. Gleichzeitig streckten diese Leute ihre Fühler aus, um einen amtlichen Sänger zu finden. Mit der Neuen Deutschen Welle hatte das noch gar nichts zu tun. Da standen die als Politrockband drüber und ich, als 17-jährigen Folksänger, der Dylan auch schon mal in Deutsch sang, was frevelhaft ist, weil man den in keine Sprache wirklich übrsetzen kann mit seinem Sing-Sang-Slang, aber ich war ja jung und hatte davon noch keine Ahnung, also ich stand da auch drüber, wollte meiner Musik ein bißchen Tiefgang geben. Wir wurden einander vorgestellt, waren völlig größenwahnsinnig und dachen, das würde was mit uns, also mit der Politrockband und einem Karl David Korff, der sich Charly Davidson nannte. So kam es dazu, dass ich in Deutsch sang. Man möchte halt mitsingen können...

Wie kann man sich die Arbeit zu dieser Zeit vorstellen? Wer hatte die Ideen zu Songs und Texten und wie entstanden die Titel?

Jeder schrieb im stillen Kämmerlein und brachte die Ideen mehr oder weniger ausgegoren ins Studio, wo alle dann darüber herfielen und sie politrockig machten. Es war eine perfekte Kombination zwischen individueller Arbeit und dem kollektiven Touch. Daher auch getrennte Copyrights, aber gemeinsamer Verlag, damit alle einen Anteil an allen Stücken bekamen.

Der Erfolg Eures Albums "Politrock" war im Vergleich zu dem von anderen Politrockbands, wie Lokomotive Kreuzberg oder Franz K., weit größer. Wie überrascht war die Band damals von diesem plötzlichen und enorm großen Zuspruch von Medien und Publikum?

Jeder, der einen solchen Erfolg ernsthaft erwartet, ist ein Vollidiot. Man kann sowas nicht vorhersagen, und das ist auch gut so. Und dann muss man halt damit klarkommen. Ich habe allerdings schon größere Probleme gehabt als diesen Erfolg.

Trotzdem hast Du die Band schon 1979 wiedre verlassen um als Solo-Künstler Erfolg zu haben. Weshalb?

Ich denke heute, dass die Fließband sehr wohl hätte weiterexistiern können mit mir als Sänger. Aber da kamen Kinder auf dei Welt und es gab und keine Touren, also suchte man sich Beschäftigung und dann kamen die Ergebnisse davon der Band in die Quere. Letztlich verlangte mein Erfolg beim NAchwuchsfestival in Stuttgart so viel Aufmerksamkeit, dass Fließband mit mir keine Basis mehr hatte.

Du hast das in der Vergangenheit auch schon mal mit der Bemerkung "zu viele Häuptlinge, zu wenig Indianer" versehen. Siehst Du das auch heute noch so?

Kollektive sind nicht die produktivste Methode. Die wirklich guten Projekte haben klare Anführer und Masterminds. Aber: wie soll man das Leben von fünf Menschen in allen Aspekten durchsynchronisieren? Die Fließband war immer ein chaotisches, unentschlossenes Kollektiv.

Du hast ab Mitte der 80er als Produzent oder Co-Produzent mit Helmut Prosa Großes geleistet. Unter Eurer Regie entstanden einige Alben, die ind en Charts ganz hoch notierten. Wie kam das, wie kam der Kontakt zu Prosa zustande?

Ich wolltemich Mitte der 80er-Jahre von meinem damalogen musikalischen Partner Lukas linde lösen um meien Musik weiterzuentwickeln. Man empfahl mir einen irren Österreicher, der mal bei Falco mitgemacht hatte und z. B. bei "Mscheine brennt" an der Gitarre gestanden hatte. Soviel hatte man mir erzählt. Ich hab mir dann die Single gekauft und dachte: Was soll ich zum Teufel mit einem Funky-Gitarristen? Aber dann schickte mir dieser Mann ein paar Demos und ich sagte: "Das hört sich extrem vielversprechend an". Ein paar Tage rief mich dann Thomas Herzberger von der Globe an. Falco und Helmut hätten sich getrennt und Herr Prose suchte nach neuen Wegen. Ich traf mich mit ihm in Wien und merkte sofort: Der Junge wusste ganz genau, was er da trieb und hatte sich die weitere Zusammenarbeit mit mir redlich verdient.

Aber so ein Produzentenjob kann auch mal in die Hose gehen. 1989, dem Jahr nach Deinem Lounge-Musik Erfolg, produziertest Du auch eine Mädchenband namens Mayday. Und das ging voll in die Buxe, wie man bei uns in Hamburg sagt. Was war da schiefgelaufen?

Sylka und Manuela May waren zwei ganz talentierte Mädels aus dem Frankfurter Umland, die ich schon als LeVogue mochte - damals waren sie aber noch zu viert mit Anny Öztürk am Keyboard und Bela Baltabol an den Drums. Also nahm ich die Schwestern unter Vertrag. Allerdings war die Arbeitsweise eine zeitraubende, perfektionistische. Und die Schwestern phantasierten schon vom großen Erfolg, bevor die Platte überhaupt erschienen war. Ich sagte ihnen, dass das bei keinem der mir bekannten großen Erfolge so war. Während man arbeitet, spricht man nicht über Limousinen und Geldanlagen. Die Strafe dafür folgt auf dem Fuße. Dazu kam, dass die GLOBA damals ein neues Label namens "Girl-Power" gegründet hatte und drei Veteranen des Business engagiert hatte und dort für Frauen alles besser machen zu wollten. Alle Musiker und alle Plattenfirmen, so trompeteten sie in einem Spiegel-Interview, seien im Prinzip Idioten, denen man jetzt mal zeigen müsse, wie's richtig gemacht wird. Als dieses Interview von Ina Deter, Siegfried Schmit-Joos udn Ulla Meinecke erschien, hätte ich eigentlich den Krempel hinschmeissen sollen. Es war ein Sargnagel für meine Arbeit. Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf diesen Dreck. Ich bin immer noch sehr mit Ulla befreundet. Sie ist einer meiner Lieblingsmenschen und ich habe ne Menge Respekt vor ihr. Ich halte sie für die beste Song-Schreiberin der Deutschen Geschichte. Obwohl, oder vielleicht gerade weil sie keinen Schimmer von Produktionstechnik hat.

Rückblickend auf Deine Karriere: Was würdest Du heute anders machen, wenn Du die Chance dazu hättest, und was würdest Du wieder so machen, wie Du es gemacht hast?

Ich wäre selbstbewusster und reiselustiger. Ansonsten hatte ich viel Glück und bin dann instinktiv doch das eine oder andere mal in die Richtige Richtung marschiert.

Was waren für Dich die schönsten Erlebnisse in Deiner Karriere, was die weniger schönen?

Ganz ehrlich: Kathastrophen waren immer spannend. Mit denen wurde es mir nie langweilig. "Ab in den Bau", sagte die Frankfurter Staatsanwaltschaft mal zu mir und noch bevor ich "Wie bitte?" udn "Für was denn?" sagen konnte, war ich hinter Schloß und Riegel und ei medien fiellen über meine Frau und meine Kinder her. Oder: ich produzierte mal eine recht bekannte britische Band, super motiviert, hart arbeitend, inspiriert und voller guter Laune. Aber als die ersten Rough-Mixes bei deren Firma ankamen, sagte die zu uns, alles müsse "internationaler" und teuer sein, damit es auch erfolgreich wird, damit die Band ihre immensen Steuerschulden begleichen könne. Und ein Gitarrist, bei dem das "Gleichgewicht der Kräfte" zwischen Kokain, Haschisch und Jack Daniels hergestellt werden musste, überrascht einen jeden Tag auf's Neue. Der Rest kokste heimlich, weil die wussten, wie ich darüber dachte. Am Ene ging das Ganze mit einem Co-Produzenten zu Ende.

Mit Deiner Musik und Deiner Tätigkeit als Produzent hast Du lange Zeit stets den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Musik hat sich inzwischen aber extrem verändert. Welche Veränderungen - positiv wie negativ - stellst Du im Vergleich zu den 80ern und 90ern heute fest?

Keine Ahnung. Ich verfolge das nicht. Die Technologie spielt sicher eine Rolle. Es gab immer schon Plastikprodukte und authentische Bands. Die Industrie geht jetzt hoffentlich bald endgültig den Bach runter, damit endlich was Neues kommen kann. R.E.M. ist nicht nur musikalisch meine Lieblingsband.

Was hörst Du privat für Musik? Was war die letzte CD, die Du Dir gekauft hast?

Woher weißt Du, dass ich immer noch CDs kaufe? Gut: ich warte auf die neue R.E.M., die Anfang Januar endlich erscheinen soll. Ich mag das Internet, aber der iTunes Store ist nur gut für die Labels, die die Musiker nicht an den Erlösen beteiligen wollen. Da muss noch was Besseres kommen.

Wie sehen Deine Zukunftspläne aus?

Meine Scheidung finanziell überleben. Mein Haus retten, abreißen und stattdessen ein energiesparendes, modernes Fertighaus bauen. Meine Kinder so viel wie möglich sehen. Und noch viele gute Songs schreiben. Es gibt kein schöneres Erlebnis, als gute Songszu schreiben.

Womit wir auch am Ende unseres Interviews angekommen sind. Möchtest Du noch ein paar Worte an unsere Leser richten?

Nach anderthalb Jahrzehnten scheint für Manche die Wiedervereinigung immer noch ein schmerzhafter Prozess zu sein. Ich bin nach wie vor froh, dass sie stattgefunden hat und kann den Zynismus mancher Zeitgenossen nicht verstehen. Deutschland ist zwar keine Subkultur, aber es wird jeden Tag besser. Alles hat seinen Platz hier. Berlin ist da ein gutes Vorbild. Aber niemals vergessen: es waren nicht Helmut Kohl und Ronald Reagan, die die Mauer überwanden, sondern Willy Brandt, Michail Gorbatschow und die DDR Bürger - vor allem aber das Volk. Dazu nach wie vor: Herzlichen Glückwunsch! Und weiter so Deutschland...