Samstag, 22. Oktober 2011

2011-10-20 | BRAIN ONE erzählt, wie er 1977 und 1988 Charly Davidson kennen lernte

Künstler, Produzent, Videomacher und inspirativer Kreativpartner von unzähligen Musikern, angefangen bei den frühen Tagen von STREET LIFE (die er 1972 mitbegründete) über David Byrne, David Bowie, Cluster, U2, Sting und Depeche Mode bis hin zu Laurie Anderson, John Cale, Charly Davidson (aka Karl David Korff), Lang-Lang und Terry Riley, ist Brain O-N-E viel mehr als ein cleverer Musiker.

O-N-E war schon lange von der Idee einer entwurzelten konzeptionellen Musik ohne klangliche Sehenswürdigkeiten fasziniert, eher er beinahe zufällig 1975 das Genre der 'Silent Music' prägte, die das Prinzip einer sanften musikalischen Oberfläche verfolgt, wobei die menschliche Phantasie diese Musik weiterwebt und sie so erst ihre ganze Wirkung entfaltet. Drei Jahre später führte er seine 'Silent Music', mit Unterstützung des PINK FLOYD Schlagzeugers Dave Mason, als "Electronic Radiation" erstmals an öffentlichen Plätzen auf, um die Menschen zu beruhigen, wie er sagte: "Es ist eine besondere Klangfarbe, die die Menschen erfasst. 'Silent Musik' soll Ruhe und Raum zusammenführen. Sie ist auf vielen Ebenen des Hörens präsent, macht aufmerksam für neue Dinge."

Es folgten Konzeptalben wie "Staccato Ostinato", "Musik For Storms", "Lifelights" und "Welcome To The Noise". Im letzten Jahr erreichte er mit seinem Album "A Light Vessel In Troubled Water" die Top-10 der britischen Album-Charts: ein Erfolg, den er sich, nach eigenem Bekunden, "nicht erklären kann" und der für "seine Art der Musik" ungewöhnlich ist. In wenigen Wochen folgt das neue Album von Brain O-N-E, das er "Isolation" betitelt hat.

Seit genau zehn Jahren erscheinen seine neuen Werke, zusamen mit ausgewählten alten Produktionen von ihm, auf seiner eigenen Plattenfirma "b-o-n-e". Weiterhin hält er nach wie vor 50 % der Anteile an der Musik- und Medienfirma CBQ, die er 2002 mit der vor knapp drei Jahren verstorbenen deutschen Rocklegende Karl David Korff, den man in Germanien fast nur unter seinem Künstlernamen Charly Davidson kannte.


Eher zufällig verhalf er 1988 seinem späteren Freund Korff zu Aufmerksamkeit, als er dessen Musik "Lounge Musik" taufte. Tatsächlich arbeitete O-N-E später selbst auf diesem Gebiet und erweiterte so sein Konzept von funktionaler Musik. Jedes Geräusch, jede Harmonie wie Disharmonie, dreht sie bei ihm wie eine Kugel in ihrem eigenen Bio-Raum. Im Interview mit Kevin Wyatt redet der eher introvertierte Musiker zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder über sich und seine Musik.


EC: 2008 wollte die Gruppe IT CANAC TI eine akustische Version ihres Debutalbums "Music For Poets", das 1975 erschienen war, aufführen. Sie wollten das Konzert zusammen mit Karl David Korff besuchen. Er verstarb kurz davor bei einem Flugunfall und sie haben das Konzert dann alleine besucht. Wie haben Sie auf das Konzert reagiert?

BO: Es war sehr bewegend und nach dem Konzert, erzählten mir einige Leute, dass sie mich nach den ersten Takten weinen sahen. Aber das war wegen sicher wegen Karl und nicht wegen der von mir komponierten Musik.

Was waren die Gründe für diesen Gefühlsausbruch?

Ich musste an ihn denken und an meine Musik für Poeten - er war ja in Deutschland eien wahrer Poet, ein Magier des Wortes in der Musik. Aber sicherlich kam es auch zum Teil aus dieser absurden Hingabe, dem hoffnungsloses Unterfangen, zu versuchen, eine exakte Kopie von etwas zu schaffen, das ohnehin schwer zu reproduzieren ist. Mit Karl verband mich, dass wir beide immer versucht haben, Neues zu schaffen, anstatt Altes zu reproduzieren. Nichts gegen den Versuch von IT CANAC TI, also es war wirklich schmeichelhaft, was sie aufführten. Aber meine Musik so zu hören, in einem neuen Leben jenseits der Platte, außerhalb meiner Kontrolle, war merkwürdig und aufwühlend. Und dann die Abwesenheit von Karl ...

Wie und weshalb hat Ihre 'Slient Music' die Welt verändert?

Da die "Silent Music"-Phase für mich seit 1983 beendet ist, als "Welcome To The Noise" erschien, möchte ich das, mit dem notwendigen Abstand zu damals und meinem inzwischen angewachsenen musiktheoretischen Verständnis, so beschreiben: Bevor in mir die "Silent Music" entstand, bemerkte ich, dass sich die Hörgewohnheit meiner Freunde verändert hatte. In den 1970er Jahren begannen die Menschen, sich bessere Schallplattenspieler anzuschaffen als zuvor. Das veränderte die Art, wie sie, wie ich, wie wir alle, Musik hörten. Die Leute begannen die klanglichen Oberflächen zu bemerken, den Reichtum der Sounds. Ich erkannte dabei, dass das Aufnahmestudio der Ort war, die Textur von Tönen und Klängen zu verändern. Die Melodie und der Rhythmus eines Liedes, das ist die eine Ebene der Hörgewohnheit, die andere ist die leise, die kaum hörbare Ebene des Sounds, des Klanges eines Songs. Das war es, auf das ich mich konzentrieren wollte. "Silent Music" heißt ja nicht, dass alles still ist, nur eben ruhig, ruhig, ruhig. Kein Rock, kein Schlagzeuggetrommel sondern dezente Percussion, wie es Rick Masen getauft hat, keyboardflächen. das ist "Silent Music". Heute kann man das überall finden, manche sagen "Wellness"-Musik dazu, andere sagen "ruhige Musik", aber 1972 gab es das noch nicht in unserer Welt, da war dieses Musikgefühl neu.

Und Ronny Punk spielte dabei für Sie eine große Rolle.

1975 begann ich bei Ronny Punk, dem Klangingenieur und Studiorevolutionär der 1970er Jahre zu lernen. Damals war ich eine ganze Zeit lang in Deutschland, nahm in seinem Stuudio "Electronic Radiation" auf, lernte viele deutsche Elektromusiker kennen. Und da besuchte mich auch ein junger Mann aus Frankfurt und ich muss gestehen, dass ich ihn damals nicht ernst genommen habe. Ich betrachtete ihn eher als Fan von mir. Ich war von David Bowie nach Berlin geholt worden, um in den Hansa-Studios an seinen Musikproduktionen mitzuwirken. Da habe ich dann das, was ich von Ronny gelernt hatte, gleich umgesetzt. Auf Fans zutreffen war mir da eher lästig - ich gebe das hier gerne zu.


Aber später gründeten Sie mit diesem jungen Mann sogar mit CBQ eine eigene Plattenfirma? Das muss doch einen Grund gehabt haben.

Ja. 1988 war ich zur Frankfurter Musikmesse eingeladen, wo mir ein Preis verliehen wurde, und da erreichte mich eine Anfrage von einem Karl David Korff, ihn in seinem Studio in der Nähe von Frankfurt zu besuchen. Er schrieb mir nur, dass wir uns mehr als ein Jahrzehnt zuvor in Berlin bereits einmal getroffen hätten, aber ich konnte mich nur dunkel erinnern. Dass er da in Deutschland schon ein Rockstar war, unter seinem Pseudonym Charly Davidson, das wusste ich nicht.

Haben Sie sofort das Potential seiner Musik erkannt?

Es ist nicht eine Frage, ob man Potential erkennt, sondern, welches Potential man erkennt. Jede Musik hat Potential, schlechtes wie gutes. Aber sehen wir es doch einmal wertfrei: Dieser Mann war in Deutschland ein Rockstar, ein Deutsch-Rock-Star. Ein Genre, von dem ich überhaupt keine Ahnung hatte und habe, keinen Schimmer, von was, überwas er sang.. Im Studio traf ich seinen Produzenten, Helmut Prosa, und der machte mich mit dem früheren Produzenten von Charly bekannt: Eberhard Panne, der ASH RA und Klaus Schulze produziert hatte - das interessierte mich wirklich. Dann kam er und sofort veränderte sich der Raum. Ich spürte, dass das Studio sein Arbeitsbereich war - erst später stellte ich fest, welch ein Arbeitspensumem er sich auferlegt hatte: da trafen zwai Menschen aufeinander, im feld der Musik, aus völlig unterschiedlichen Gebieten, die ähnlich intensiv arbeiteten. Und als ich kurz danach, so hier und da den Namen Charly Davidson erwähnte, sagte man mir "Der Kerl ist ein Rockstar in Deutschland, der Hallen füllt, ein Live-Mann." und ich dachte: das ist ja interessant. Ich spüre, dass er in einem Studio auflebt und live - ich gebe zu, das dies nie meine Welt war und ist - ist er auch authentisch. Das interessierte mich dann wirklich. So jemanden trifft man selten im Leben.

Das war also für Sie das Fazinierende an ihm?

Faszinierned? Nein. Ich würde eher sagen, wir hatten ab einem gewissen Moment einen passenden Schlüssel, um durch die selbe Tür zu gehen, obwohl wir aus unterschiedlichen Richtungen und Zeiten kamen.

In seinem Studio hat er Ihnen doch damals bestimmt etwas vorgespielt, um Sie zu beeindrucken.

Ja, seine aktuelle Produktion, aus der später die Urstufe der 'Lounge Musik' wurde. Ich fand das ansprechend, aber nicht so außergewöhnlich, dass es mich damals weiter interessiert hätte. Sagen wir mal: ihre Referenz war zu schwach, um mein künstlerisches Interesse zu wecken. Was ich gelungen fand, war die Einbindung von Geräuschen und sanften Drumsounds. Das Entscheidende, danach trotzdem in Kontakt mit ihm zu bleiben war - so merkwürdig es klingt, wenn man mich kennt - das Tape, das gleiche Tape, das er mir schon elf Jahre zuvor gegeben hatte. Er drückte es mir beim Abschied noch einmal in die Hand und auf der Fahrt zur Frankfurter Musikmesse hörte ich es mir an, um mehr über ihn zu erfahren. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Es hat mich berührt. Elf Jahre zuvor war Karl 19 Jahre alt gewesen und hatte Musik gemacht, die er Elektromusik nannte. Das Tape war großartig; seine Liedanfänge federleicht und trotzdem episch. Klassische Musik ist auf eine klare Unterscheidung zwischen Musik und Geräusch gegründet. In der elektronischen Musik, sind diese Barrieren gefallen. Ich träume ja immer von einer Musik ohne Grenzen, wobei klassische Instrumente, neue elektronische Geräte und „Nicht-Instrumente“ wie Frösche, Vogelgezwitscher und Wasserrauschen zusammenwirken. Dieses, so dachte ich damals, sollte meine Palette sein, um Klangfarben zu mischen. Ich hätte alle diese Elemente zur Verfügung und wäre frei, um mit ihnen zu arbeiten, was immer mir gefällt. Und nun hörte ich im Auto auf der Fahrt zur Perisverleihung dieses elf Jahre alte Tape von ihm und es hatte schon fast alles, was ich mir 1977 für mich gewünscht hätte. Plötzlich standen mir Tränen in den Augen - Tränen der Freude ebenso, wie solche der Scham. MIr war sofort klar: wenn ich diesen Mann dazu hätte bringen können, damals mit seinen Möglichkeiten weiter seine Elektromusik zu machen, dann wäre er kein Rockstar geworden sondern vielleicht eine "Silentt Music"-Legende.


Dennoch haben Sie ihm nicht sofort geholfen ...

… sondern über die BBC - ja, ich weiß. Es ist die alte Geschichte, wie die "Lounge Musik" entstand. Wir wollen das hier nicht weiter vertiefen. Es würde andere Leute dazu verführen, es ebenso zu machen um eine neues Musikgenre entstehen zu lassen, aber, entgegen anderslautenden Meinungen, habe ich das damals nicht so einfach "dahergesagt" ... [Lacht]

Ist Verführung, Manipulation im Leben ein wichtiger Aspekt für Sie?

Ja, weil ich glaube, dass man durchaus extern steuern kann, dass jemand das Gefühl, Emotion zu haben, bekommt. Das ist für mich ein Akt der Kapitulation. Aber die Menschheit hat eine Art der kulturellen Verpflichtung sich selbst gegenüber. Da mag ich die Option der Verführung zu einem bestimmten Zweck nicht so sehr. Natürlich ist Aggressivität eine weitere Möglichkeit zur Erreichung dieses Ziels. Aber das braucht die Menschheit beides nicht. Mein Weg ist stets das Gegenteil davon gewesen. Ich habe immer versucht, Dinge aus der Faszination für sie heraus zu ändern.


© 2011 by Kevin Wyatt for "The Elecronicle" | Übersetzt von Bernd Pehle