Montag, 4. April 2011

2010-10-10 | BRAIN ONE erzählt, wie er 1977 und 1988 Charly Davidson kennen lernte (Fortsetzung)

Künstler, Produzent, Videomacher und inspirativer Kreativpartner von unzähligen Musikern, das ist Brian Thomas Gary Charles Earl of Barqin, der sich selbst Brain O-N-E nennt. In Teil 1 des großen Interviews mit dem ELECRONICLE Magazin aus dem Oktober 2010 erzählte O-N-E, dass er schon lange von der Idee einer entwurzelten konzeptionellen Musik ohne klangliche Sehenswürdigkeiten fasziniert war, eher er beinahe zufällig 1975 das Genre der 'Silent Music' prägte und danach verschiedentlich auf die Musikwelt Einfluss nahm. Hier ist eine Auswahl seiner wichtigsten Musikproduktionen:

1972: "Music For Poets" / 1975: "Silent Music" / 1978: "Electronic Radiation" / 1980: "Staccato Ostinato" / 1983: "Welcome To The Noise" / 1985: "Lifelights" (inzwischen "Lifelights I" betitelt) / 1987: "Music For Storms" / 1989: "My Life Is Floating" (Ballett Suite) / 1992: "The Network" / 1995: "Parcival" [Soundtrack] / 1997: "97 Windows" [for Microsoft Corporation] / 1999: "So Far Away" [for the National Aeronautics and Space Administration] / 2001: "Back To The Bone" / 2005: "xxx" / 2009: "Lifelights II" / 2010: "A Light Vessel In Troubled Water" / 2012 (geplant): "Lifelights III"

Eher zufällig verhalf er 1988 seinem späteren Freund und Geschäftspartner Karl David Korff aus Deutschland zu Aufmerksamkeit, als er dessen Musik "Lounge Musik" taufte. Jedes Geräusch, jede Harmonie wie Disharmonie, dreht sie bei ihm wie eine Kugel in ihrem eigenen Bio-Raum. Im Interview mit Kevin Wyatt redet der eher introvertierte Musiker zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder über sich und seine Musik.


[...Fortsetzung von Teil 1...]

Über "Lounge Musik" im Allgemeinen haben Sie einmal gesagt, sie sei wie spanische Paella.

Ja, es ist wie Paella, zusammengemischt aus allerlei Dingen, um zu schmecken. Zur Zeit, als ich Karl richtig kennenlernte, 1989, hatte ich mit „Music For Storms“ gerade meine Natur-Phase, so will ich sie einmal nennen, beendet. Zu dieser Zeit war ich offen für eine neue Art Musik zu schreiben. Darauf folgte meine Ballett-Suite "My Life Is Floating" / „Mein Leben schwebt“. Ich schrieb sie, spielte dis Basic-Tracks ein und habe sie dann etwa dreißig Personen zugeschickt und befragt, wie sie das finden und was sie anders machen würden. Karl schrieb mir: 'Dein Song ist ein Rap, ein Rap aus Phrasen und Geräuschen'. Und genau das war es; er hatte es als einziger erkannt. Andere schrieben mir: 'Die Musik ist zu schwach für Ballett, es fehlt an Identität, das Ganze hat keine Persönlichkeit.' Und da wusste ich, dass ich mir diesen Deutschen als Partner vorstellen könnte und wir haben dann, zuerst sporadisch, dann intensiver, zusammenbearbeitet.

Wie gehen Sie heute mit der Tatsache um, dass Ihre Arbeit nur zögernd Anerkennung erfuhr?

Das war, weil ich lange ein Außenseiter war, ein Paradiesvogel. Das machte mich für Leute wie David Bowie interessant und gleichzeitig für Plattenbosse uninteressant. Zunächst einmal, hatte ich aber nie den Eindruck, dass ich mit meiner Arbeit gegen andere Menschen kämpfen würde. Ich hatte und habe Freunde, die mich immer unterstützten und unterstützen werden. Und ich bin ja auch nicht der Einzige meiner Musikart, hatte, wie man an Karli sehen konnte, durchaus Mitstreiten. Auch Holger Czukay war und ist so einer. Ich war also niemals wirklich der Meinung, ich wäre ein Alleinerfinder. Es lag einfach in der Luft in dieser Zeit, vielleicht in Deutschland mehr, als in anderen Ländern. Aber weil ich das Ganze in Großbritannien vorantrieb, war ich dort etwas Besonders, Exotisches. Bis dahin hatten die Menschen Klänge verwendet, um ihrer Musik einen gewisse Exotik zu geben; ich denke die BEATLES sind ein gutes Beispiel dafür. Aber George Harrison hat ja auch einiges bewegt, hat die Weltmusik angestoßen mit den ersten Tönen einer Sitar in „Norwegian Wood“.

Sie sagten einmal, „Graceland“ von Paul Simon sein ein weiterer Schritt gewesen, Sie zu motivieren, neue Wege zu gehen.

Ich habe ein seltsames Verhältnis zu diesem Album. Ich liebe es, aber es ist eines der wenigen Dinge, bei denen ich ständig denke: Ich hätte es machen müssen. Sehen Sie, damals war ich nach Afrika gegangen, nach Nigeria. Das war 1985. Ich arbeitete mit vielen Musikern dort drüben, erarbeitete mir einige Grundsounds für "Lifelights", träumte von einer wirklichen künstlerischen Zusammenarbeit mit ihnen. Das war lange vor "My Life Is Floating". Für "My Life“ begann ich mit der Komposition der Musik und habe nach fremdartigen Stimmen gesucht. In Nigeria wollte ich noch das Gegenteil, wollte mehr konventionell sein, war von diesen Rhythmen, dieser Art, Musik zu spielen, fasziniert. Ich machte viele Ton-Aufnahmen in Afrika. Zurück in Toronto hatte ich 1986 die Idee, Songs zu schreiben mit den Musikern aus Nigeria eine Platte mit ihren Sounds und Instrumenten und Songstrukturen zu machen. Und dann kam Paul Simon und hatte das alles schon gemacht. Da wurde ich eifersüchtig, denn diese, wie ich dachte „meine“ Musik, existierte plötzlich ohne mich. Ich musste mich abreagieren [lacht] und machte "Music For Storms".

Im Jahr 1977 arbeiteten Sie intensivst mit David Bowie zusammen, waren für die "langsameren" seiner Songs mitverantwortlich. Wie kann man sich so eine Zusammenarbeit vorstellen?

Das war die Stimmung der Zeit und sie entstammte den späten 1960er Jahren, als Musiker versuchten, weg vom üblichen Pop-Song-Format zu kommen und Songs entweder länger oder viel, viel kürzer zu machen als üblich. Ich erinnere mich an einen Song namnes “Free“, der nur eine Minute dauerte. Ein echtes Schmuckstück, das großen Eindruck auf mich machte. Die Leute begannen Mitte der 1970er zu verstehen, dass es eine Menge gab, was sie auf einer oder mit einer Platte machen konnten. Man wollte eine Klangwelt im und mit dem Studio erstellen und nicht 'nur' eine Geschichte erzählen. Bowie und sein Produzent Tony Visconti sind ein gutes Beispiel dafür. Visconti hatte lange mit Marc Bolan an T. Rex gearbeitet und Popsong um Popsong gemacht. Nun wollten er und Bowie Soundlandschaften, wie sie es nannten, kreieren und da kam ich ihnen gerade recht. Nicht für den Rocksound, denn den hasste ich - nein: für die ruhigeren Sachen.

Was war Ihre Methode mit Bowie zu komponieren?

Jede Zusammenarbeit hilft einem zu wachsen. Mit Bowie, ist es und war es jedes Mal anders. Das Geheimnis unseres Erfolges war ... [Brain O-N-E überlegt] Oder ich sage es einmal so: Meine Stärke ist, dass ich weiß, wie man ungewöhnliche akustische Umgebungen erstellt. Und das inspirierte ihn. Und dann war da mein Talent, Menschen davon zu überzeugen, etwas Neues auszuprobieren. Ich bin in dieser Branche ein guter Verkäufer. Wenn ich in Form bin, kann ich musikalisch alles verkaufen. Jedenfalls für eine halbe Stunde! Wenn es nicht funktioniert, versuchen wir etwas anderes. [lacht] Bowie ist ein sehr aufgeschlossener Mensch, hat eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe. Er fängt etwas an, verwendet es schon am nächsten Tag in überraschender Weise und veränderte so auch meine eigene Wahrnehmung von Musik. Ich versuche bei Bowie also immer, Dinge gut vorzubereiten, bevor er sie hört, weil er in allem sehr schnell ist.

Man sagt über Sie, Sie hätten bei Studioproduktionen immer ein Set von Orakel-Karten dabei. Stimmt das?

Ja, und das macht eine Menge Spaß. Nehmen wir einmal Bowie. Wir beide zogen Karten und taten unabhängig voneinander das, was auf den Karten stand, ohne dem anderen zu sagen, was wir zu tun versuchten. Manchmal gingen wir so in entgegengesetzte Richtungen. Davids Karte sagte vielleicht: „Machen Sie eine plötzliche, unvorhersehbare Abänderung an den gerade aktuellen Song.“ und meine sagte mir: „Ändern Sie nichts und fahren Sie mit der Produktion fort“.

Gab das keine Konflikte?

In diesen Fällen, ja, natürlich. Aber bei anderen Songs hat das wirklich gut geholfen, sie weiterzuentwickeln. Die Musik ist ja, nach der Hegelschen Dialektik, stets ein Ort, an dem alles ein Konflikt ist.

Haben Sie heute noch eine Liste mit Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten möchten? Und was ist für Sie der Unterschied zwischen einer aktiven Produktion und einer Kollaboration?

Natürlich gibt es eine solche Liste, aber ich lasse das alles auf mich zukommen, melde mich mal hier und da oder warte, dass mich jemand fragt „Hey, Brain. Produzierst Du meine nächste Platte“. Und dann gibt es natürlich die Situation der Zusammenarbeitet und da bin ich nicht der Produzent. So bleibt jeder Einzelne auf seinem eigenen Territorium und man hat synergetische Effekte.

Was war ihre letzte Kollaboration?

Um ehrlich zu sein: Es war in diesem Sommer* und es war mit Karli Davidson. Das klingt zwar bizarr, denn er starb ja bereits Ende 2008. Aber seine Töchter baten mich darum, mich in seinem Tonarchiv umzusehen, ob da noch brauchbare Produktionen von ihm lagern, die bisher unveröffentlicht sind. Eigentlich wollte ich zwei Wochen bleiben und am Ende wurden zwei Monate daraus, die ich inder wundervollen Landschaft Thüringens verleben durfte, inklusive einiger Abstecher nach Berlin. Karl hat unter anderem ein kleines MiniDisc-Archiv mit fast 600 MiniDiscs, jede mit zwischen 30 Minuten und 300 Minuten Elektromusik. Das sind in Stunden ausgedrückt etwa 700. 700 Stunden überwiegend unveröffentlichter Musikfragmente, Songideen und fertig produzierter Songs. Und wir reden hier von einem Mann, der Rockmusiker war und die Elektromusik eher nebenher machte. Was für ein Potential da noch in seinem Tonarchiv stecken muss, kann man wohl erst in Jahren sagen. Aber, überlegen Sie einmal, wieviel Zeit er allein damit verbracht hat, diese ganzen 700 Stunden Musik aufzunehmen. Das zeigt, was er für ein Musiker war: Besessen, zwanghaft und genial.

Konnten Sie etwas Gutes, Unveröffentlichtes bei ihm finden?

Die zwei Monate haben sich für mich und seine Töchter gelohnt. Unter anderem fand ich ein bisher unveröffentlichtes Album namens „Raumfahrt“, das nun zu Weihnachten 2010 veröffentlicht werden soll.* Alles fertig produziert. Auch in meinem Werk gibt es ja ein Album über Raumfahrt, [Anm.: "So Far Away"/1999], das ich für die NASA gemacht habe, aber seine Arbeit verfolgt eine völlig andere musikalische Grundtendenz. Ich werde nur noch im November* noch einmal nach Jena kommen, um dort zwei, drei Nachmischungen zu machen, weil kleine Teile akustisch zu verzerrt sind. Aber alles in allem ein großartiges Album und ich konnte helfen, es der Welt zu schenken.*

Sie sind wirklich ein Nicht-Musiker, wie Sie immer wieder behaupten? Ich meine, Sie haben in Ihren Namen so viele Kompositionen erstellt.

Ich begann, diesem Ausdruck zu verwenden, als ich verstand, welche Art von Musiker studiere Musiker sind. Das war für mich um so viel weniger interessant als das, was ein purer, reiner, unschuldiger Musiker - in Nigeria wie Deutschland - hervorbringt. Ich möchte damit nicht zum Ausdruck bringen, dass an Musikhochschulen nicht sehr gute Musiker sind, aber wenn man Musik im klassischen Sinn studiert, dann fragt man sich: komponiere ich das nächste Lied in C-moll oder vielleicht mit einem verminderten Septakkord hier und dort ... und da. Hier bräuchten Musikstudenten zum Ausgleich einen lateralen Zugang zu zwangloseren Kompositionstechniken durch mich und andere, die sie wahrscheinlich Nicht-Musiker nennen würden. Also nenne ich mich von Anfang an Nicht-Musiker, da gibt es keine Missverständnisse. Ich benutze Instrumente ja nicht orchestral-maschinell sondern wie ein Maler, der eine Leinwand bemalt, und das auch vorwiegend ohne Noten also Vorgaben. Phil Spector ist für mich der Inbegriff des „Nicht-Musikers“. Ich weiß nicht, ob er ein Instrument spielt oder Musik studiert hat, aber das war nicht sein Beitrag zur Musikgeschichte. Sein Produktionsstil ist entscheidend, und der ist nun mal auf einer ganz anderen Ebene als der eines klassischen Musikers oder Komponisten.


© 2010 by Kevin Wyatt for "The Elecronicle" | Übersetzt von Bernd Pehle

* =Da das Interview aus dem Sommer 2010 ist, beziehen sich diese Aussagen auf das Jahr 2010. das Album ist inzwischen unter dem Titel "Raumfahrt" bei Brain O-N-Es Plattenfirma "b-o-n-e"-Records erscheinen.

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