Donnerstag, 17. März 2011

1992-03-17 | Charly "Hardrock" Davidson: Gefängnis-Liaison mit den Scorpions

Vor 20 Jahren:

Nächste Woche erscheint mit dem Titelsong die erste Auskopplung aus Charly Davidsons neuem Album "Ausbrecher". Gestern stelle er Ausschnitte in einem leerstehenden Gefängnis in Offenbach der Presse und ausgewählten Fans vor. Herbert Reuter berichtet;

Das sitzt er also: einer der erfolgreichsten Künstler Deutschlands. Sitzt auf einer Pritsche im alten Offenbacher Gefängnis in der Kaiserstraße, trotz Jackett irgendwie hemdsärmelig, ein klein wenig unrasiert, körperlich ein bisschen aus dem Leim gekommen. Charly Davidson kokettiert mit seinem unfreiwilligen Gefängnisaufenthalt im letzten Jahr, als er für Wochen in Untersuchungshaft saß, nach einem schweren Autounfall und aufgrund einer übereifrigen Justiz. Und er beantwortet Fragen seiner Fans, die ihn fast durchweg "Charly" nennen, obwohl er unter dem bürgerlichen Namen Karl David Korff geboren wurde.

Charly Davidson, von dem inzwischen jeder weiß, wo er herkommt, weil er mit seinem ersten Album unter dem bürgerlichen Namen ausgrechnet in Großbritannien und darüber hinaus Erfolg hatte, während er in "Good old Germany", wie er es nennt, als "Charly" bekannt wurde, ihm seinen ungewöhnlichen Gesang nahebrachte und mit jeder neuen Platte unaufhaltsam dem Pop-Olymp erklomm.. Bis zu jenem Tag vor einem Jahr, als er verhaftet und öffentlichkeitswirksam eingekerkert wurde. Drei Wochen saß Davidson in einer Frankfurter JVA, beteuerte stets seine Unschuld ("Ja, ich saß im Wagen, bin aber nicht gefahren.") und wurde, nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt seiner Haftbeschwerde stattgegeben hatte, freigelassen. Obwohl er vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung auf der Autobahn A 66 freigesprochen wurde, war da das Urteil der Boulevardpresse längst gefällt. Davidson zog die Konsequenz und um nach Thüringen.

Bei der "Vorhör-Session" zum neuen Album, das also nicht ohne Grund "Ausbrecher" heißt und im Gefängnis präsentiert wurde, ging es selbstredend auch wieder um Authentizität, Glaubwürdigkeit. Vorerst nur auf der auditiven Ebene, die neue Platte wurde - neben der Single-Auskopplung gleichen Namens plus bitterböser B-Seite ("BILD-Seite", wie Davidson sie nennt) "Querulantensäue" - erstmalig präsentiert, dazu gab es "Mineral-"Wasser und Brot und Texte zum Mitlesen.

"Man kann den Tag nicht an den Stunden messen" heißt ein Song in Davidsons unnachahmlich gewohnt verkopft-lässiger Sprachart, immer ein wenig kompliziert und doch nach kurzem Nachdenken auch für seichte Gemüter zu verdauen. "Du feige Sau" wird da schon konkreter und bei "Querulantensäue" kann man sicher sein, dass er sich damit keine neuen Freunde im Zeitungsboulevardrevier macht.

Das neue Album "Ausbrecher" kreist, verkürzt gesagt, um das große Ich und das große Du, summa summarum die Gesellschaft und wie sie mit Menschen umgeht, gelegentlich kryptisch verbrämt in Phrasen und Gegenphrasen, wie in "Die Nacht der Gewohnheit" oder "Der Mann, der nicht Moses war", gelegentlich einfach und entwaffnend wie in "Hinter Gittern, kann man zittern, kann man heulen, kriegt man Beulen, auch beim Sex".

Keine Frage: Da hat einer die unfreiwillige Zeit im Gefängnis genutzt zu einer Bestandaufnahme dessen, was er erlebet, gehört, vermutet hat. Das ist eben die Kunst, die manche Menschen beherrschen, das Assimiliern, das "Chamälionisieren", wie es Davidson nannte. Und: er kann es, und: er macht er und bringt gleich musikalisch die notwendige Härte mit ins Spiel, engagierte die Scorpions als Back-Up-Band.

Was heraus gekommen ist, jedenfalls im Urteil nach dem ersten Durchhören der Ausschnitte, die er im Offenbacher Gefängnis präsentierte: große Gesten im Hard-Rock-Sound, großer Aufwand an Instrumenten und Klängen: Zu den verzerrrten Gitarren kommen Bläser, Streicher, das Klavier perlt ohnehin permanent immer im Hintergrund mit. Was man auch ohne das Mitleseblatt mitkriegen würde, sind in Davidsonscher Manier herausgepresste Textfetzen à la "Tier", "Qual", "Ziel", "Traum". Insofern wird dieses Album eine sichere Sache für Fans, eine unsichere Sache für die Plattenfirma, denn das Ding war offensichtlich (und nicht nur wegen der Skorpione) teuer und die BILD und andere Springer-Blätter werden es wohl kaum promoten.

Und: Kann man ein so persönliches Album wie "Ausbrecher" überhaupt goutieren? In den Gefängnismauern kommt es jedenfalls exzellent an, und später, nach dem der Reisebuss mit allen Auserwählten in Hanau-Steinheim in "Charlys Studio" angekommen ist und Charly in seinem Garten zur Grillparty bittet, sind die meisten in Stimmung für das niedliche Unplugged-Exquisitkonzert des Künstlers am Klavier, das gleichzeitig von hr3 live übertragen wird.

Davidson zeigt sich mit viel Herz und Schnauze, versingt sich charmant, spielt Klavierarpeggien, verrät dazu halblaut: "Das könnte ich jetzt ewig so weiterspielen" und bricht damit locker den selbst aufgebauten Pathos. Die Fragen der zugeschalteten Radiosender beantwortet er spontan und duzend, immer wieder auf aktuelles Geschehen - Main-Donau-Kanal und Franz-Josef-Strauß-Flughafen - angesprochen, lässt er sich zu ein paar vagen regierungskritischen, richtigen und nicht weiter auffälligen Aussagen hinreißen. Aber das ist ja heute auch nicht seine Mission.

Am Ende will er gar nicht von der Bühne, bemerkt, dass vor dem Garten inzwischen dutzende Fans warten, die es im Radio mitbekommen haben, dass Davidson hier live spielt, lässt nach der Verabschiedung immer noch neue Fragen zu, und erstmalig keimt der Gedanke, inwiefern dieses Fraternisieren mit dem Publikum aus einer Berechnung heraus resultieren könnte, wo er doch gerade von "hier" weg und nach Thüringen gezogen ist. Oder ist alles doch nur schlichtes Nettsein? Einfaches Mal-wieder-Leute-Treffen? Schließlich bringt Davidson seine Alben in regelmäßigen Abständen heraus, also wieso sollte er es nicht genießen, von wohlmeinenden Menschen umgeben zu sein?

Dennoch fehlen beim neuen Album die konkreten Themen: Was man stets an seinen Hits mochte, ob man nun auf die Musik steht oder nicht, waren die hintergründigen und genauen Aussagen, die Widerhaken-Textzeilen: Menschlichkeit, Betrug, Verlust sind fassbare Topics. Auf der neuen Platte geht es zwar auch, wie Davidson erklärt, in einem Song um den Krieg, in einem anderen um die Krankheit seines Vaters. "Das ist aber nicht so wichtig", meint er, in der Hoffnung, musikalisch aussagekräftig genug zu sein. Das ist er dann auch vielleicht, für seine Fans. Und für alle, die bei "Totgesagte leben länger" an Davidsons Vater, oder bei "Du feige Sau" gleich den Krieg assoziieren. Für den Rest allerdings bleibt "Ausbrecher" ein Album, das irgendwie nicht richtig abgeht. Trotz des verführerischen Weibes auf dem Cover, dessen Verbindung mit dem Album sich (nicht nur mir) einfach nicht erschließen will.

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