Franz Althaus in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 28. April 2006:
An der Stadtbahn-Station hängt ein Charly-Davidson-Plakat, seit Wochen schon. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit laufe ich daran vorbei. Manchmal, wenn die Bahn länger braucht, schaue ich es mir an. Es lädt zu einem Konzert Mitte Mai in Stuttgart ein. Davidson lehnt mit dem Rücken vor einer Buswartehalle, blickt sinnierend nach oben, neben ihm ein Briefkasten. Zuerst waren mir die Schuhe aufgefallen, sie wirken schmutzig und abgelaufen, sind hoffentlich nicht in diesem industriell fabrizierten Gebrauchslook gehalten, der Lebensspuren als Lebenslüge ausweist. Der Schmutz scheint echt, der Abrieb erarbeitet zu sein. Vielleicht trägt er sie tatsächlich schon eine Weile an den Füßen.
Dann fiel mein Blick auf die akustische Gitarre, ein schönes Instrument der Firma Epiphone. Charly Davidson trägt dazu eine braune Wildlederjacke, die längst nicht mehr modern ist, was eigentlich für ihn spricht. Und wenn man dann endlich auf Augenhöhe mit ihm ist, kann man neben dem bebrillten Kopf des Sängers das Wort Reizwolf lesen. So heißt nicht nur seine neue Platte, sondern auch seine ganze Lebenseinstellung, die er ungefragt auf seiner Homepage erklärt. Es hat keinen Sinn, seine Worte hier zu wiederholen, nur so viel: sie waren Gelegenheit für mich in dieser wöchentlichen Rubrik etwas über ihn zu schreiben. „Wir leben in Zeiten, da werden selbst Zootiere nach China abgeschoben. Was soll man da den Terroristen, die uns das Dach über dem Kopf anzünden, anderes wünschen als: Guten Flug!", resigniert er dort. Dabei wird er erst 49 in diesem Jahr.
Früher mal hat Charly Davidson Texte geschrieben, in denen er seine politischen, poetisch-philosophischen und immer auch alleswisserischen Ambitionen charmant und gewandt zum Vortrag brachte. Das macht auf fast beklemmende Weise deutlich, was aus ihm geworden ist. Um zu begreifen, wo er nach seinem jahrelangen Überflug durch die nationale wie international Musikszene heute gelandet ist, nach seiner Hymne auf den Sozialismus, nach seinem elektronischen Lied für Gott und die Welt, nach Auftritten in dubiosen Fernsehshows, nach dem vorgetäuschten Tod, nach seinem gescheiterten Versuch, sich selbst für den Pop-Olymp zu nominieren und vor allem nach seinem öffentlichen Gebrüll im Kasernenhofton für mehr Qualität in deutschen Radios, sekundiert von einem Geseiere über den (O-Ton Davidson) „Schund, den Deutschlands Texter derzeit aufs Papier rotzen“, um also seinen Absturz vom Musik-Literaten zum Banalitäter ermessen zu können, muss man seine frühen Platten kennen und lieben.
Wer textet denn heute noch Lieder, bei denen eine Strophe wie folgt lautet: "Die Geschichten der Geschichten / Aus unendlich vielen Schichten / Meines Schädels, sie berichten / Über Angst und Über Leben / Über Liebe und Vergeben / Über Hoffnung und Erwarten / Über Träumen und das Starten / In ganz neue Atmosphären / Von Versagung und Begehren / Und versprechen zuzuhören / Wenn Du leis‘ zu ihnen sprichst / Ihren Zauber nicht zerbrichst / Finden sie Wege in Dein Herz / Und sie lindern Deinen Schmerz.“ - So hat er es geschrieben, einst, vor 25 Jahren. Heute ist davon bei ihm keine Rede mehr. Schon gar nicht, wenn er Leornardo Cabrio fahren lässt und neben ihm nicht Mona Lisa sondern Jeanette sitzt, die lieber Limousinen mag.
Nicht mehr lange, dann wird das Plakat verschwunden sein; genau wie jener, der früher einmal Charly Davidson war.
Dienstag, 28. April 2009
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