Samstag, 18. April 2009

1986-04-19 | Lichtblicke fürs Volk

Um gleich zu Beginn eines klarzustellen: Dieser Mann ist nicht nur zum Abtanzen, sondern zum Zuhören geeignet - deshalb wird aus ihm vielleicht in Kürze ein großer deutscher Star werden. Normalerweise sind Deutsch-Rock-Stars selten ausufernd intelligent, meist nicht vieldeutig, niemals analytisch und schon gar nicht schwierig. Außerdem tragen Deutsch-Rock-Stars normalerweise schöne Deutsche Namen: Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg. Bei ihm ist alles anders: TORNADO, die Stadt-Szene-Zeitung besuchte Charly Davidson.

Als Kind deutscher Auswanderer wurde er vor knapp dreißig Jahren in Wales geboren und trug da noch seinen deutschen Namen Karl David Korff. Spätestens seit einem Lied, das völlig untypisch für ihn war, mit dem er aber vor drei Jahren groß rauskam, kennen ihn die Deutschen unter seinem Künstlernamen Charly Davidson. Darin beschrieb er den Irrsinn der Welt aus Sicht eines Buschmann und das verschaffte ihm den Durchbruch in der Szene. War es bis dahin nur eine kleine intellektuelle Fan-Gruppe, die seine Konzerte besucht hatte, kamen ab diesem Zeitpunkt auf einmal die Massen, selbst Teenies fanden Gefallen an dem Mann aus Frankfurt. Jetzt hat ChD Spaß am Rockstar-Leben bekommen und will unbedingt ein „Hitparaden-Stürmer“ werden. Seine neue LP „Lichtblicke“ ist seit kurzem auf dem Markt und schon in den Charts. ChD steckt in den Startlöchern für seine bisher längste Tournee, die ihn von Mai bis Juli in mehr als fünzig Konzerten von Kiel bis Rosenheim durchs ganze Land führen wird.


TORNADO: Sie haben vor kurzem Falco als einen Wechselbalg zwischen Elvis und Heiner Pudelko bezeichnet, da konnte man meinen, Sie litten an Minderwertigkeitskomplexen. Oder wie war das gemeint?

ChD: Zu Anfang meines musikalischen Lebens litt ich vor allem daran, es sämtlich Musik- und Sprach-Werktätigen zeigen zu wollen. Da hieß es: "Hier kommt Charly, Platz da, ich kann Alles und das vielleicht sogar noch besser als ihr." Das erzeugte natürlich einen enormen Beweisdruck, führte zu Verkrampfungen und aufgrund meiner Unfähigkeit zum richtigen Umgang mit meiner Stimme, mußte ich mich mangels Beweisen selbst davon freisprechen. Wenn ich heute annehme, ich sei vielleicht gar kein guter Literat, dann wollen mir andere beweisen, dass sie es viel blumiger und viel böser können als ich und das macht mir meine Sache leichter.

Immerhin haben wir alle die Neue Deutsche Welle überlebt, mit der ich übrigens niemals ins Bett gegangen bin. Dafür wollte ich zu Anfang der 80er-Jahre musikalisch zu viel: Synthesizersequenzen mit Tanzmusik mischen, Jazz-Elemente im Jimi Hendrix Stil spielen, Steve Reich meets King Crimson machen. Und herausgekommen ist dabei viel provinzieller Müll. Erstaunlich war, dass dies trotzdem eine gewisse Fangemeinde hervor brachte. Es bedurfte viel Überredungskunst und einigen Schmäh meines neuen österreichischen Band-Gitarristen Helmut Prosa, damit musikalisch etwas zustande kam, das von mehr Leuten als zuvor als markant und zugleich zugänglich wahrgenommen wird. Helmut hat ja früher mit Falco gearbeitet und von ihm habe ich auch die Sicht auf Falco als Musiker. Die Bühnenarbeit ist enorm schwer, das liegt uns als deutschen Musikern überhaupt nicht im Blut, daran müssen alle hart arbeiten.


TORNADO: Weshalb ist Falco für Sie aber „Wechselbalg zwischen Elvis und Heiner Pudelko“?

ChD: Mann, das war ein Kompliment. Drücke ich mich denn so kryptisch aus? Wir sind Deutsche, das darf man nicht vergessen. Für mich zum Beispiel ist Elvis Presley der beste Sänger der Welt … vielleicht auch Roy Orbison mit seinem Wahnsinnsorgan, der könnte ja ohne Mikrophon auftreten. Und Pudelko ist das Gleiche in Deutschland. Aber wenn man weiß, daß man die nicht kopieren kann, und man sollte das auch gar nicht erst versuchen, schätzt man diese Doppelbegabungen im textlichen und gesanglichen Bereich wie dann auch Falco. Leute, die eine Bühnenpräsenz haben, die auch mit ihren Händen etwas anzufangen wissen.

Wir, die Deutschen, haben geniale Textdichter, die zugleich gehemmte Gestalten sind wie Ulla Meinecke, Herbert Grönemeyer oder Manfred Maurenbrecher, der am Piano festklebende Hobbit, der infolge seines gesamten Erscheinungsbildes niemals größere Publikumsmassen mitreißen wird. Dafür schreiben alle drei konkurrenzlos gute Texte. Heiner Pudelko von INTERZONE ist zum Beispiel der unglaublichste Sänger, der mir je in Deutschland begegnet ist. Was der drauf hat, ist für mich Blues- und Rock-Entertainment. Der hat, ebenso wie ich, mit seiner Band während der neuen Deutschen Welle drei Platten gemacht, die so außerordentlich gut sind, daß sie alle Ehren verdient hätte, die aber in der NDW keiner hören wollte. Aber Erfolg hatte man da ja nur, wenn man deutschen Dumm-Bumm-Schlager machte. Ich bin froh, dass ich da meinen „Buschmann“ hatte.


TORNADO: Sie kommen ja ursprünglich aus dem Polit-Rock. Wie würden Sie heute Ihren politischen Standort beschreiben?

ChD: Ehrlich? Auch nicht anders als vor zehn Jahren. Die SPD ist noch immer meine Partei, aber ich bin nicht mehr so ganz glücklich mit dem, was in ihr passiert. Ich habe mich ja während der 70er auch für die SDAJ und danach für die Grünen interessiert. Aber als Kommunist würde ich mich nicht bezeichnen. Vielleicht als gemäßigter Sozialist mit offenen Augen in alle Richtungen.

TORNADO: Wer Ihre politischen Ambitionen kennt, der muß sich natürlich fragen, ob Ihnen das nicht ungeheuer schwerfällt, jetzt populäre, leichtgängige Stücke zu schreiben, nachdem Sie jahrelang den großen Literaten gegeben haben. Sie haben doch sogar Literaturpreise bekommen.

ChD: Ich bin notorisch erfolgssüchtig, wollte immer ganz oben sein. Ich habe mich dabei immer gefragt, warum andere, weniger talentierte, NDW-Dummbeutel Hits haben und ich nicht, bis ich verstanden habe, daß man Hits nicht allein über Wortschöpfungen machen kann. Man muß Methoden finden, die es ganz vielen Menschen ganz unmittelbar leicht machen, ein Lied zu mögen und es zu kaufen. „Eh, es gibt da einen intellektuellen Song über ein Mädchen Klara und ihr Problem mit dem örtlichen Umweltamt. Haben Sie das da?“, das geht nicht gut. „Haben Sie die Single von dem Buschmann“, das funktioniert.

Auch mit dem neuen Album, „mit der Sonne auf dem Cover“, ist uns das gelungen. Bei „LICHTBLICKE“ konnte ich zum ersten Mal das machen, was mir bis dahin nicht möglich war: leicht quergedachte Texte auf eingängige Melodien zu schrieben. Für mich ist das immer noch intellektuell, es ist nur eine anwenderfreundliche Variante geworden, für alle, die dem Tiefsinn nicht so anheimgefallen sind. Eine Art elitäres Zwinkern ist aber immer noch da, für die Geistesmenschen, damit die merken: Wir verstehen uns noch immer.


TORNADO: Wie wichtig ist Geld für Sie?

ChD: Geld beruhigt enorm. Ich bin jedoch ungeeignet für Leben allein des Geldverdienens wegen. Ich möchte gern tun, was Bod Dylan geschafft hat: Als der genug Geld hatte, fing er an, nur noch Platten zu machen, die ihm selbst gefielen. Natürlich bringt so etwas jede Plattenfirma zur Verzweiflung. Aber schon Franz Kafka hat gesagt: Bücher, die uns gefallen, können wir zur Not selber schreiben. Um so zu arbeiten, braucht man ein Polster, das Kafka nie hatte, und das ist das Geld.

TORNADO: Erfolgssüchtig sind Sie, Geld wollen Sie scheffeln, quergedachte Lieder für das Volk machen und dazu noch zehn Gebote für die Menschheit verbreiten. Wie soll das klappen?

ChD: Schwierig, schwierig. Ich sehe es an den Briefen, die mich erreichen. Darunter sind nette und verkopfte, kurze lustige und einige seitenlange, in denen die Briefschreiber von mir Ratschläge für ihr Leben erwarten. Ich ärgere mich selbst darüber, wie sehr ich wohl von manchen Leuten als Guru gesehen und gehört werde. Für die bin ich ein Messias, die legen den Charly auf, wenn es ihnen schlecht geht und hoffen in meinen Songs die Lösung für ihre Lebensprobleme zu finden. Ich bin aber kein Heiland und auf bestimmte Positionen festnageln lass ich mich schon gar nicht. Ich kann nicht genug seriös den Allwissenden spielen, um es zu schaffen die ganze Menschheit zu missionieren. Obwohl ich es mit meinen Deutsch- wie Englisch-Kenntnissen heute einfacher hätte, als der Aramäer seinerzeit. Warten sie es doch einfach mal ab.

Das Interview führte Siegfried Hoffmann.

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