Samstag, 9. Mai 2009

2005-07-17 | Der Reizwolf mal ganz zahm

Interview mit Charly Davidson im ONLINE DIENST:

Herr Davidson, Ihre Karriere begann damals mit der Teilnahme an einem Singer-/Songwriter-Wettbewerb im Planetarium Stuttgart. Später haben Sie im Fernsehen, quasi als Pionier von Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" und "Popstars", die Castingshow für Musktalente wieder hoffähig gemacht. Was halten Sie von derartigen Wettbewerben? Was bringen diese dem Künstler?

Das kommt auf den Wettbewerb an. In meinen Augen war der Vorzug bei mir damals und bei dem, was ich für RTL gemacht hatte, und was ja schnell weider eingestellt wurde, und das scheint mir der Gegensatz zu dem zu sein, was man heute im Fernsehen sieht, dass komplette Talente gesucht wurden. Also Leute, die nicht nur irgendwas nachsingen, was ihnen eine Jury vorgibt, sondrn mit ihrem eigenen Material angetreten sind. Heute wird angeblich ein Popstar gesucht, also im Grunde jemand, der jahre- oder jahrzehntelang die Leute mit seinen Songs erfreut, aber gefunden wird ein kurzlebiges Windei, gedrillt zum Nachahmer und nicht motiviert zur eigenständigen Persönlichkeit.

Aufgrund des heutigen Überangebots an Nachwuchsmusikern müssen Künstler immer stärker vermarktet werden, um nicht als Eintagsfliegen zu enden. Inwieweit geht dabei die Individualität, künstlerische Freiheit und die musikalische Qualität verloren?

Ich weiß gar nicht, ob das Angebot heute so viel größer ist als früher. Ich habe manchmal den Eindruck, zwischen 1965 und 1985 war die Musikszene noch sehr viel lebendiger und es gab vor allem auf der Bandseite eine unheimliche Landschaft von Leuten, die was versucht haben. Ich habe manchmal den Eindruck, das ist eher ein bisschen weniger geworden. Und bei diesen Shows im Fernsehen, die das nun heranzüchten auf ihre spezielle Art und Weise, da melden sich ja auch viele Leute, die wirklich unbedarft sind. Die werden dann auf eine Weise fertig gemacht und gedemütigt, dass ich mir gar nicht erklären kann, warum man sich dem freiwillig aussetzt oder warum nicht Papa und Mama oder gute Freunde mal vorher sagen: „Mein Kind, lass das. Da hast du keine Chance“. Da sind ja auch wirklich viele talentfreie Talente dabei. Es ist schwerer geworden, finde ich, seinen Weg zu finden, weil diese Fernsehshows falsche Vorbilder generieren, weil sie meiner Meinung nach den falschen Ansatz haben und weil draußen im Lande die Situation sich live zu erproben viel schwieriger geworden ist. Es gibt ja kaum noch wirklich kleine Clubs, wo man einfach mal auftreten darf, auch wenn man noch nichts ist. Und das ist eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Man muss schon was sein, um auftreten zu dürfen, und wie wird man denn was, ja, wenn man auftritt - eigentlich. Und das ist teuflisch und dadurch für die jungen Leute von heute viel, viel schwieriger geworden.

Aktuell überschwemmt eine neue deutsche Singer-/Songwriter-Welle die Musikszene und das auch noch sehr erfolgreich. Wie bewerten Sie die Qualität dieser Künstler?

Ich finde es ganz gut, dass diese Frage, die ich noch, und meinesgleichen, also Grönemeyer, Kunze, Westernhagen und wie sie alle heißen, früher öfter im Radio beantworten mussten: „Warum singen sie eigentlich in Deutsch?“, Geschichte geworden ist. Heute ist es doch im Gurnde egal, ob man nun englisch oder deutsch singt. Man sollte aber, früher wie heute, nicht bergessen, dass man seine Muttersprache maskiert, wenn man anstatt in Deutsch in Englisch singt. Also, ich für meinen Teil kann ja sehr gut englisch, bin in Wales geboren und aufgewachsen, aber ich würde mich nie trauen eine durchgängig englische Platte zu schreiben, weil ich einfach weiß, wie blöse das ist, wenn jemand aus Bristol oder aus Liverpool nicht an irgendeiner Stelle eines Songs totlacht, genauso wie wir uns wahrscheinlich totlachen würden, wenn ein Engländer auf die Idee käme, Texte in Deutsch zu schreiben und die dann auch noch , womöglich falsch betont, zu singen. Also, da trau ich mich gar nicht ran. Und die Idee, dass man so es leichter zur internationalen Karriere hätte ist ja im Grunde eine Seifenblase, denn die Erfolgsquote ist vielleicht 10.000 zu 1. "Ist doch gar nicht so schlecht die Quote", hat mir mal eine junge Dame geantwortet. Also, ich weiß nicht. Wenn ich mir ein Fußballstadion vorstelle, gut gefüllt, und jemand würde sagen: Alle im Stadion müssen sterben bis auf einen oder eine - also, ich würde zusehen, dass ich da so schnell wie möglich rauskomme.

Was ist noch wichtig für einen Nachwuchskünstler außer der Überlegung, in welcher Sprache er seine Texte singt?

Originalität ist für mich das Wichtigste. Und ob man nun so gut singen kann, wie Luciano Pavarotti, das ist mir relativ egal, das interessiert mich nicht. Nachgemachtes interessiert mich nicht.

Wie schmal ist dabei der Grat zwischen Kredibilität und Kommerz?

Sehr schmal. Man muss schon, wenn es etwas werden soll, Glück haben, dass jemand von der Plattenindustrie das mitkriegt, der den nötigen Mut aufbringt und das nicht „auf die Schnelle“ produziert, sondern sagt, hier bleibe ich ein paar Jahre dran. Das kostet selbstverständlich erstmal Geld, aber, ich sehe das so wie bei der Renovierung eines Hauses: das richtig investierte Geld wird sich rechnen und man hat davon langfristig mehr, als von einer Billig-Reparatur. Es gibt solche Leute, Menschen, die die Musik auch mögen, die sie verkaufen, aber es ist schwer, sie zu finden.

Ende diesen Jahres soll Ihr neues Album "Reizwolf" erscheinen. Wie geht der Arbeitsprozess voran?

Während wir jetzt hier sitzen, wird gerade eifrig gemischt in drei verschiedenen Studios in Jena, Berlin und bei Frankfurt. Die Aufnahmen haben wir gerade beendet. Das waren acht Wochen und dazu kommen jetzt noch drei Wochen Abmischung, damit im Oktober die erste Single kommen kann, die heißt "Wach auf", und dann im November das Album. Im Dezember folgt dann die Tour.

Hat sich ihre Arbeitsweise im Laufe Ihrer Musikkarriere verändert? Wie entstehen Ihre Songs?

Da haben wir heute nicht die Zeit, hier ausführlich darauf einzugehen. Angefangen habe ich als alleinstehender Musiker zur Mitte der 1970er Jahre, dann hatte ich einer Reihe von Jahren eine Band, dann eine zweite Band, dann eine dritte und jetzt habe ich eine neue, in der alle mitkomponieren - das war früher nicht so. Das habe ich in der Anfangszeit ganz alleine gemacht, zuerst mit Lukas Linde, den ich übrigens vor einiger Zeit wiedergetroffen habe und mit dem ich mich inzwischen wieder super ´verstehe, dann waren viele Jahre Helmut Prosa ich das Autoren-Duo. Und seitdem Helmut jetzt nicht mehr dabei ist, hat sich das eigentlich auf alle Schultern verteilt und von jedem kommt etwas, das muss man dann ausbalancieren, damit keiner das Gefühl hat, zu kurz zu kommen.

Was können ihre Fans von Ihrem kommenden Album erwarten? Inwieweit hat sich Ihre Musik in den Jahren stilistisch verändert?

Ich würde mich gerne mal zurückentwickeln (lacht). Ich habe schon so Vieles gemacht seit 1974, die unterschiedlichsten Dinge. Das ist ja nun schon mein, ich weiß gar nicht wievieltes, Album und ich glaube, wenn man die alle anhört, dann hat man doch so eine Art Überblick über praktisch jede Stilistik, die es in der Populär-Musik seit 1955 gegeben hat. Ich habe alles schon probiert: Vom klassischen Rock'n'Roll über den Blues, hin zum elektronischen Pro-Minute-ein-Akkord-Stück, vom irischen Folk (singt: "I must awaay my luv, i can't no longer staay...") bis zum Country, vom Hard-Rock mit den Scorpions bis hin zur Klavier-Ballade. Wir haben auch dieses Mal sehr viel probiert, mein Produzent Franz Wasa und ich, und ich bin überzeugt davon, dass das Ganze nun ziemlich chamäleonartig geworden ist, es kommen jedenfalls sehr viele musikalische Farben drin vor. Am Ende hofft man natürlich immer, dass das neue Album organisch zusammenpasst und nicht mehr so schillert wie ein Chamäleon. Man wird es sehen.

Spätestens im November.

Genau.

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