Dienstag, 12. Januar 2010

1998-01-12 | Kultivierter Aufstand statt Krautrock

aus: "Yahoo! TV-Tip" vom Montag, den 12. Januar 1998

(rik) Ja, RTL II habe ihn angefragt, nicht er RTL II. Ob er nicht eine Musiknewcomer-TV-Show machen wolle. "Sie haben mir sogar Ausschnitte von ausländischen Zeitungen gezeigt, um mir zu belegen, dass dies etwas Positives ist." Und Karl David Korff, den hierzulande viele Musikfans nur als Charly Davidson kennen, hat zugesagt. Klar. "Den Job habe ich doch schon vor knapp 15 Jahren im Radio beim hr gemacht. 'Camouflage' wurden damals von mir entdeckt. Aber irgendwie wussten die das bei RTL II gar nicht." Dennoch: In gewisser Weise hat der Rock-Poet es sich selbst zuzuschreiben, dass RTL II so unbedarft war.

Es ist der wohlbekannte Charly Davidson, der da sitzt und grübelt und fein formuliert. Viel hat er schon gemacht in seinem 40-jährgen Leben. Politrock, Folkmusik, Elektronikklänge (vor zehn Jahren erfand er die 'Lounge-Musik'), Radio, Bücher geschrieben und jetzt geht es auch noch ins Fernsehen. Ab heute Abend gibt es jeden Montag auf RTL II die Liveshow "Neue Leute braucht Deutschland" und an jedem Sonntag dann zusätzlich die Wochenzusammenfassung mit den geballten Aktivitäten der kommenden Jungstars. Wer sich bei den Zuschauern durchsetzt, der zieht ab April in Erfurter "Bandhaus" ein. Erreichen will man, so die RTL II Info, die werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen.

Davidsons gesamtes Umfeld ist dabei neu, und man mag annehmen, dass er auch deshalb häufiger lächelt als früher. Neue Medienpartner hat er, eine neugegründete TV-Firma ("The Spirit Of Germany") und ein eigenes Mediamanagement. Parallel dazu soll sein neues Album "Inkar-Nation" in Frühjahr erscheinen.Das habe sehr wohl seinen Einfluss auf die Entscheidung für eine Fernsehschow mit ihrem Start im Januar 1998 gehabt, gibt Davidson zu. Die Bands und Interpreten der neuen Sendung, sagt er, seien völlig andere als 1984/85. Die Deutsche Musikszene schöpfe derzeit sozusagen aus sich selbst neu. Früher sei bisweilen die Fantasie gefragt gewesen, heute sei es Qualität.

Was seine Bandkollegen dazu sagen würden, dass er lieber eine TV-Show mache, als auf Tour zu gehen, wird er gefragt. Klar sei es deshalb zu Differenzen zwischen ihm und "meinen Jungs in der Band" gekommen. "Aber an 'Neue Leute braucht Deutschland' glaube ich einfach. Hier will ich kultivierten Aufstand statt Krautrock erleben." Er habe seinen Musikern angeboten, Songs für die Nachwuchsbands zu komponieren. Sieben Lieder hätte sie beigesteuert. "Sie konnten plötzlich komponieren. Unglaublich. Sogar mein Lichtmann hat komponiert." Nun komme erst einmal die TV-Show und dann könne er sich in diesem Jahr auch wieder eine Deutschland-Tour vorstellen.

Wie geht es denn der vereinigten "Inkar-Nation" Deutschland derzeit? Gut, sagt Davidson. Es gibt keinen Krieg in unserem Land, dafür leben viele Menschen in Wohlstand, alle haben ein geordnetes Sozialsystem. Verglichen mit anderen Nationen gehe es Deutschland also gut. Warum sollte da überhaupt jemand protestieren? Davidson gibt selbst die Antwort: Auflehnen sei ein Prinzip. "Wenn seit mehr als einem Jahr Tamara Danz nicht mehr unter uns weilt und niemanden interessiert es, der Tod einer englischen Prinzessin dagegen Tag um Tag stundenlange Livesendungen generiert, dann ist es Zeit sich aufzulehnen."

"Wenn ich heute zurück schaue, zum Beispiel auf den der Protest der Menschen auf den Straßen gegen Atomkraftwerke, gegen Wackersdorf, Gorleben - daran war nichts Falsches, obwohl er wahrscheinlich kaum etwas gebracht hat." Die 68er-Generation, insbesondere die Künstler, hätten inzwischen schmerzhaft erfahren, dass sie nicht wirklich etwas ändern können in der Gesellschaft. Viele hätten daraufhin die Lust am Protest verloren. "Aber ich werde immer kämpfen, gegen Gleichgültigkeit, Einerlei, Niveaulosigkeit, und sei es nur im Fernsehen".

Wer auf Davidsons vor acht Jahren gegründeter Fanpage im Internet stöbert, erkennt eine verwirrte Anhängerschaft. Eine TV-Show bei RTL II (Zitat: "dem Tittensender") passe nicht zusammen mit dem Image des intellektuellen Rockstars und Poeten, doch das lässt ihn einigermaßen ungerührt.
Zumal ein solches Engagements natürlich auch ein Mehr an Popularität in einer bisher einigermaßen brachliegenden Zielgruppe mit sich bringen könnte. "Das ist sicher ein positiver Nebenaspekt." gibt Davidson unumwunden zu. Er arbeite ja auch weiter an Kleinkunstprogrammen, plane ein neue Elektromusikplatte und er will sich weiter in die gesellschaftlichen Abläufe in Deutschland einmischen. Weniger in der Politik, sein Zorn richte sich eher gegen Wirtschaftsführer, die sich persönlich bereichern. Und natürlich: "Musik muss in unserem Leben einen größeren Stellenwert erlangen." Dann kann ja nichts mehr schief gehen.

TV-Tip: "Neue Leute braucht Deutschland" ab heute jeden Montag 20.15 Uhr auf RTL II und an jedem Sonntag um 19.00 Uhr die Wochenzusammenfassung.

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