Freitag, 22. Oktober 2010

2007-10-22 | Charly Davidson feiert 30. Bühnenjubiläum: "Mich kotzt heute noch diese Wichtigtuerei der NDW an"

Anlässlich von Charly Davidsons 30-jährigem Bühnenjubiläum und seines bevorstehenden 50. Geburtstages gab es am 22. Oktober 2007 ein großes Interview im GEMA-Musikmagazin SONO mit der Rocklegende, welches wir hier noch einmal wiedergeben. Das Interview führte Ramona Stark:

SONO: Herr Davidson, Ihr Comeback-Album "Reizwolf" sei der schwerste Teil ihrer Karriere gewesen, das sagten Sie vor kurzem. War Ihr Karrierebeginn einfacher?

Davidson: Nein, bei meinen ersten Alben, die seinerzeit ja noch auf Cassette erschienen sind, war es ähnlich. Damals, vor bald dreißig Jahren, galt es ja, die deutsche Sprache für den Sound der Musik neu zu erfinden. Es gab wenig Vorgaben und an jeder Ecke hörte man: Das geht nicht, denn die Sprache des Rock ist Englisch. Aber ich wusste: Es muss irgendwie gehen. Und ich dachte: Wortwitz, Slang und Sprüche, das muss in deutsche Texte rein. Also habe ich damals, ich wr da 14, 15, 16 Jahre alt, fleißig übersetzt. Dylan, CSN&Y, Marc Bolan. das war schwer, aber es hat mir danach sehr geholfen.

SONO: Was war das Problem bei Ihrem letzten Album "Reizwolf", mit dem Sie sich Ende 2005 nach mehreren, eher weniger erfolgreichen Alben, zurückmeldeten?

Davidson: Es fehlten erst mal neue Motive, neue Themen. Ich hatte bis dahin in meiner Karriere viele Songs gemacht, ein paar hunder. Und danach wurde es ein bisschen knapp mit wirklich neuen Storys. Vor dreißig Jahren konnte ich noch aus dem Vollen schöpfen: meine Kindheitserlebnisse, Jugendlieben, Schulstorys, das Ablösen vom Elternhaus, die ersten Banderlebnisse, nach Frankfurt zu gehen, es allen zu zeigen, et cetera. Dazu kam Politisches dazu, die Studentenunruhen, die Anti-Strauß-Bewegung und so. Ich hab' dann viel mit weitläufigen Freunden und Bekannten wie Annette Humpe, Lukas Linde, Ulla Meinecke waren darunter, debattiert und diskutiert, wie denn eine neue Platte von mir auszusehen hat, also zu klingen hat, besser noch: was ich der Welt zu sagen habe.

SONO: Was kam dabei raus?

Davidson: Franz Wasa, der Produzent des Albums, sagte mir, er wolle die Platte wie eine Art Fan angehen. Nach dem Motto: Was interessiert mich jetzt an Charly? Wie steht mein Charly jetzt so in der Welt und wie sieht Charly das echte Leben? Und musikalisch: Wie kann man den lässigen Esprit meiner frühen Platten aus den Achtzigern wieder hinkriegen? Ich musste Storys und Feelings finden, die mit meinen Leben jetzt wirklich richtig was zu tun haben. Vor allem: "keine Besserwisserei", das hat Ulla mir eingebleut. Dann habe ich hineingehorcht, in meinen Schädel, tief runter in meine Seele.

SONO: Entsprach das Bild, das Produzent Franz Wasa von Ihnen hatte, Ihrem eigenen Verständnis von sich?

Davidson: Mit der Zeit immer mehr. Es ist ja so: ich habe alle Platten, mit Ausnahme der beiden von Ronny Punk produzierten Scheiben - Gott habe ihn selig- produktionstechnisch nur entweder selbst oder mit meinen beiden langjährigen Partnern Lukas Linde oder Helmut Prosa gemacht. Also wollteich mal eine Außenmeing dazu holen, was leider meinen letzten Partner Helmut Prosa vergrämt hat. Aber frisches Blut tu jedem gut - davon bin ich überzeugt. Wasa sagte dann, dass mein nächstes Album eine Platte werden sollte, direkt über mich; Lieder, die direkt und prall aus meinem Herzen und meinem Kopf sprechen. So kam es dann auch zu dem Titel "Reizwolf".

SONO: Wie haben Ihnen denn Kollegen wie Ulla Meinecke konkret geholfen?

Davidson: Ich hatte manchmal einfach Schwierigkeiten, die richtigen, neuen Themen und Formulierungen zu finden. So wie bei dem Lied "Die Elenden und die Könige" das so gestaltet werden musste, dass kein Besserwisser-Song draus wird, sondern der eines Erkenntnis- beziehungsweise Erleuchtungs-Menschen. Also stieg ich mit meinem Fahrer in mein Auto, damals war das gerade ein Phaeton, den wir gelest hatten; einen echten kann mich mir selbst heute noch nicht leisten (lacht!). Wir produzierten ja in den Memento-Studios in Berlin und so ich abends, um kurz nach acht, Ulla an, ob sie 'nen Moment Zeit hat. Die stand dann an der Tanke bei ihrer Autowaschanlage und stieg ein. Wir rauchten viel und fuhren fünf Stunden im Kreis, hielten ab und an an der Tanke an und dann stieg ich aus und holte was zu trinken oder zum Knabbern oder zu rauchen und der Typ hinter der Kasse wollte nicht mehr, dachte wahrscheinlich das wäre ein Fake, dass ich es gar nicht bin, hat dann aber am Ende ein Handyfoto als Beweis gemacht. Ulla lachte sich die ganze Zeit halb schlapp über die Situation und, das war ja Deine Frage, ja: sie hat mir sehr geholfen bei dem Album. Nachher, so um halb zwei Uhr nachts, waren wir beide zwar alkoholtechnisch gut drauf, aber es war ein sehr fruchtbares Gespräch.

SONO: Mit Alkohol kennen Sie sich aus.

Davidson: Ja, ich habe meine Erfahrungen mit Alkohol gemacht. Ich bin kein Hasch-Freak oder Kokser. Davor habe ich Angst. Mein Kopf ist sowieso schon genug Circus Maximus und ich hab' Angst, dadurch meine Gehirn-Salat-Chirurgie noch mehr durcheinander zu bringen, als sie es bereits ist. Kleine Experimente ausgenommen, mal plötzlich und unvorhersehbar bei einer Talkshow unterm Tisch landen, ein anderes Mal waartet der Notarzt um die Ecke, sowas gab es schon mal. Also ganz der Künstler, der sich dahin vorwagt, wo sich sonst keiner hintraut. Wo jeder Mensch Angst kriegt, das muss man doch schon mal erlebt haben. Ausnahmezustände, auf der Suche nach noch weiteren, bisher nicht gekannten Kicks. Aber zum Glück bin ich da ja nicht alleine. Das geht ja von "Faust" bis "Freund". Der alte Geheimrat wäre ja nüchtern auf vieles nicht gekommen. Alkohol funktioniert manchmal als Retter in der Not, wie es Mr. G je einst besungen hat, leuchtet gelegentlich als zusätzliche Lampe durch das Leben. Aber ich kenne auch die Schattenseiten, habe Leute wie Schulze und Lindenberg im Vollrausch erlebt und da waren fürwahr keine Glanzleistungen möglich. Ist aber alles lange her.

SONO: Hat sich Ihr Vokabular in den dreißig Jahren ihrer Karriere sehr geändert?

Davidson: Ja, ich denke schon. Wenn man die Zeit nimmt von 1977 bis 1986, bei meinen ersten deutschsprachigen Album, da hatte ich noch eine Art Supermensch im Kopf, so einen Klon, einen Wechselbalg zwischen Bob Dylan, Marc Bolan, Reinhard Mey und natürlich Konstantin Wecker, den Übervater. Die Aussprache, die Artikulation hatte ich von denen. Ich hab das Herrn Wecker auch mal gesagt: "Konstantin, ich hab mir viel bei dir abgeguckt von deinem Wortwitz", hab ich gesagt. Er konnte das gar nicht verstehen. Erst als ich ihm sagte, dass ich auch noch Hanns Dieter Hüsch verehre, dann hat er's geglaubt, hat mich an sich gedrückt und hat mir einen Kuß gegeben.

SONO: Wie radikal fühlte es sich Mitte der Siebziger an, als alle hierzulande Englisch sangen, auf Deutsch zu singen?

Davidson: Ich sag ja zuerst auch nur in Englisch, aber es war mir einfach eine Notwendigkeit, weil ich auf Englisch viele Sachen, die ich sagen wollte, nicht so rüberkriegte, wie ich sie ausdrücken wollte. Mein Englisch war dafür, obwohl ich ja in Wales geboren wurde und dort aufgewachsen bin, zu limitiert. Außerdem liebte ich die deutsche Sprache. Ich las Tucholsky, Goethe und Wondratschek. Alle sangen Englisch, ich schrieb auf Deutsch. Ich hatte nur Angst, dass mir bei meinen Liedthemen jemand zuvorkommt. Aber dann ging das ab über Nacht, so schnell, dass mich das auch gewundert hat. Ich sei intellektuell, machte man mir weiß. Und ich glaubte es: Hallelujah.

SONO: 1982 kam ihr erstes Schallplattenalbum auf den Mark, davor gabes nur Ihre Cassetten.

Davidson: Ach, die PRELUDE-Cassetten: ein wirtschaftlicher Flop, siebenhundert verkaufte Dinger. Mit denen wollte ich ja gleich Weltstar werden, was für'n Quatsch. Denn Weltstars singen Englisch, klare Sache, dachte ich. Klappte nicht. Aber auch die "Kontaktaufnahme" schwächelte ja, ebenso wie das zweite Vinylalbum "Das kleine Mal". Viele Exemplare mussten zurück in die hintersten Regale bei meiner Plattenfirma. Also war's das mit dem intellektuellen Anspruch. Die Firma wollte mehr Erfolg und ich trennte mich von einem guten Freund, Lukas Linde. Das war hart und schwer entmutigend.

SONO: Was unterschied Sie danach von den weiter ambitionierten Liedermachern, die offen gegen den Mainstream musizierten?

Davidson: Meine kessen Sprüche, denn ein paar Wortwitze müssen immer sein. Das unterschied mich ja von den NDW-Nasen, von den ganzen lustigen Vögeln, die im Tretboot in Seenot gerieten, während dem ich Odyseuss Flotte befehligte. Mich kotzt heute noch diese Wichtigtuerei der NDW an, dieser langweilige Spaß, dieses ganze Missionarstum "Die Welt ist eine große Party". Für mich musste Musik locker rocken und rollen und elektronisch sein. Das konnte man sich nicht abgucken, das konnte man nur selbst erfinden

SONO: Wann kam bei Ihnen das Politische in die Texte?

Davidson: Die politische Dimension kam Ende der siebziger Jahren hinzu. In diese Richtung brachten mich auch einige gute, höchst politambitionierte Freunde. Ich wurde Sänger einer Frankurter Politrockband, wir traten bei "Rock gegen Rechts" auf, ich sang zu Themen wie AKWs, Besetzerszene oder Chile. War alles gut und prima so - und dürften auch einiges bewirkt haben, diese Songs. Ich bin mir immer noch unsicher bezüglich dem Ende der DDR und meiner Rolle dabei, aber manche Leute meinen, habes das sogar wissenschaft zu ergünden versucht, der Song "Bis die Tage" habe seinen Anteil daranb gehabt. Ja, und dass ich heut ein der ehemaligen DDR lebe, ist schon 'n Flash. Ich wache jeden Morgen mit einem Lächeln auf. (lacht!)

SONO: Gibt es beim Schreiben von Liedern eine Routine oder ist das immer wieder ein Kampf?

Davidson: Kampf und ein Roulette-Spiel. Routine gibt es für mich nicht. Ich bin immer auf der Suche, bin ein Gedanken-Abenteurer, ein Entdecker auf dem Sprung, der neue Bilder finden muss. Aber, wie gesagt, das ist schon schwer nach so vielen Texten. Wenn ich schreibe waren es früher zischen Monate und Tagen, die ein text dauerte. Daraus sind heute Jahre gworden und manchmal geht's in drei Minuten, alles ist möglich.

SONO: Im Refrain Ihres Songs "Wach auf" heißt es: "Wir schlafen mit weit offenen Augen, mit unsren Träumen und mit dem Partner sowieso". Kann man behaupten, dass das eine typische Charly-Davidson-Zeile ist?

Davidson: Kann man. Die musste in diesem Lied aber auch genau so sein. Das Lied ist so hinreißend schön, die Melodie "so nice", das musste ich irgendwie brechen. Wie es übrigens auch die EURYTHMICS stets so gemacht haben: Schöner Song = böser Text, böser Song = schöner Text. Sonst kommt man leicht in eine zu gefällige Ecke. Und über Worte wie "schlafen mit weit offenen Augen" freuen sich übrigens auch die Kritiker ebenso wie die Kids. "Du schläfst mit weit offenen Augen" scheint ja so ein kleinen Szene-Spruch geworden zu sein. Danach suche ich. Wie damals mit den "ewigen Schaltkreise", dem Computernirwana. Mir sagte mal ein führender Informatikprofessor, dass er seit meiner Worterfindung seinen Studenten erklären kann, wohin Daten bei einem Computerabsturz verschwinden.

SONO: Sie bekammen den Jacob-Grimm-Preis für Verdienste um die deutsche Sprache verliehen. Hat Sie das überrascht?

Davidson: Ja. Die Goldene Liese habe ich ja bereits seit 1982. Die mögen halt alle meinen spielerischen Umgang mit der deutschen Sprache, wie er jahrzehntelang nicht so üblich war. Worte formen wie Kaugummi, Knetgummi - wie mit dem Jonglierball damit umgehen. Alles geht, keine Limits. Ich sah da nie Begrenzungen und wusste: mit Sprache kann man alles machen. Unsere deutsche Sprache klingt sehr schön, na ja, vor allem, wenn ich sie singe. (lacht!) Dieses "Das kann man nicht sagen" akzeptierte ich nicht, man kann nämlich alles sagen. Jeder neue Text öffnet eine Tür. Und dass das Jacob-Grimm-Preisgremium das anerkennt, ist doch toll.

SONO: Sie arbeiten gern ungestört. Nachts und besonders gern im Auto. Stimmt das?

Davidson: Genau, wie bei der Geschichte mit Ulla. Das ist ganz locker, da wird man nicht gestört und kommt auf viele Ideen. Tür zu, Handy aus, Raumkapsel.

SONO: Welche Musik hören Sie im Auto?

Davidson: Meine Demos und andere CDs. Zur Zeit "Love" von den Beatles, "Station To Station" von Bowie, aber auch gern mal Beethoven, Holst und Bach. Auch große Chöre sind super, da krieg ich schon mal tränennasse Augen, bin ganz gerührt und muss rechts ranfahren. Mein Auto ist wie Apollo 11, wenn ich unterwegs bin. Aber ich schreibe auch gern nachts im Hotel, wenn alles pennt.

SONO: Merken Sie, wenn ein Stück besonders gut geworden ist?

Davidson: Ja, das merk' ich meistens. Ich denk' dann, wer hat das eigentlich geschrieben? Da muss wohl der Heilige Geist mitgemacht haben, allein kann ich so was nicht.

SONO: Haben Sie sich schon mal gegoogelt?

Davidson: Klar, täglich. Ich muss ja immer nachschauen, was es Neues gibt über mich. Und die meisten Geschichten über mich stimmen sogar. Die Journaille geht zur Zeit ziemlich straight mit mir um.

SONO: Haben Sie ihre Geheimnisse bewahrt?

Davidson: Natürlich. Ich achte da sehr drauf. Das habe ich von Mike Oldfield gelernt, den ich ja gut kenne, auch, wenn es oft nur eine Telefonfreundschaft ist. Der sagte mal zu mir: "Charly, du musst nicht in jeder Talkshow von deinen ganz privaten Sachen oder deinen Haushaltsangelegenheiten reden. Das Kapital des Langzeit-Stars ist die geheimnisvolle Aura, die ihn umgibt. Du musst den Menschen Projektionsflächen lassen für ihre Phantasie. Du brauchst Geheimnisse, du darfst nicht alles erzählen, die Leute müssen träumen können, sonst geht die Spannung weg".

SONO: Mike Oldfield ist Weltstar. Wieviel Weltstar hat Charly Davidson?

Davidson: Weltstar? Ich weiß nicht. Ich muss da ja vorsichtig sei, nachdem ich vor bald zwanzig Jahren einmal gesagt hatte, ich wäre möglicherweise Deutschlands letzte Hoffnung auf den Pop-Olymp. Die Zeit hat da zwar nicht alle Wunden, die ich damit verursacht habe, geheilt; sie hat aber zumindest gezeigt, dass ich mit meiner EInschätzung damals nicht ganz richtig lag. (lacht!) Lassen wir das "Welt" doch mal weg, dann gibt es die Tradition großer Komponisten, denn davon haben wir in Deutschland viele, viele gehabt. Und dass ich mit der Lounge-Music da ein klein wenig mithelfen durfte, dafür danke ich. Und dann gibt es die Tradition großer Schreiber. Ich sehe mich schon als einen kleinen Bruder von Kurt Tucholsky, denn Tucholsky geht schon sehr tief, auch, wenn du älter bist - musst du nur entdecken. Ich reise auch gerne an Tucholskys Lebens- und Tatorte und schau mich da um.

SONO: Ihnen soll das Bundesverdienstkreuz für Ihre Verdienste um die deutsch-deutsche Verständigung verliehen. Hat Sie das berührt?

Davidson: Ich habe ein ambivalentes Verhältnis dazu. Andere haben das wohl mehr verdient als ich. Aber wnn ich es bekomme, dann werde ich es mir natürlich ans Revers heften und eines Tages kommt das dann ins Museum.

© 2010 bei SONO Magazin

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