Mittwoch, 17. Februar 2010

1991-02-17 | Charly Davidson: Manchmal bin ich eben das Feindbild

Im Februar 1991 erschien in den MUSIKER MUSIC NEWS ein großer Artikel über Charly Davidson inklusive eines Interviews, in dem der Musiker über Rock, Pop, Politik und neue Perspektiven des Musikerlebens sprach. Er wurde dabei interviewt von Sebastian von Loquitz.

Die 80er Jahre seien ein einziger "Langer Marsch" gewesen, hat Charly Davidson jüngst geäußert und damit den großen Vrsitzenden Ma Tse-Tung zitiert, der diesen schon deshalb nicht persönlich miterleben konnte, weil der schon 1976 verstarb.
Heute, im Berliner Hotel Adlon, wo für eine Konferenz am Vormittag mit den Granden seiner Plattenfirma gleich die "Präsidenten-Suite" im höchsten Stockwerk mit präsidialem Blick über das Brandenburger Tor gemietet wurde, wirkt der 33jährige erstaunlich entspannt. Nun ist es später Nachmittag und Davidson schttelt den Kopf über den dekadenten Prunk, klaubt Früchte von der bereitstehenden Silberplatte und steht mir Rede udn Antwort, wobei er sich im Redefluss kaum bändigen lässt. Noch immer freilich kontrolliert er seine Angelegenheiten pedantisch - das mitgebrachte DAT-Tape vom letzten Konzert seiner "Odysseus"-Tour, das ich zuvor demutsvoll in der Sitzecke anhören durften, verschwindet später wieder in der Tasche seines Jacketts.

Davidson: Echt beeindruckend hier, oder?

MMN: Womit hast Du Dich in letzter Zeit beschäftigt?

Ich überlege derzeit, in die neuen Bundesländer zu ziehen. Im Rhein-Main-Gebiet wird es mir seit enigerZeit zu eng. Ich drehe mich dort nur noch um mich selbst.

Aber an der Frankfurter Szene hast Du doch ohnehin nicht teilgenommen.

Überhaupt nicht. Ich war kein richtiger Frankfurter. Ich wohne da seit 1979 und bin seit vier Jahren auch in Hanau sesshaft, aber ich bin in beiden Städten nicht vorgekommen.

Es gab mal eine Pressemitteilung, in der es hieß, mit jungen Techno- und House-Mixern wolltest Du nicht zusammenarbeiten, die kämen ohne Dich besser klar. Weshalb siehst Du das so? schließlich bist Du doch der Inventor der Elektromusik und Vater der Lounge-Musik.

Ich habe alein Interview gegeben, in dem ich mich darauf festgelegt hatte, dass sich Technomusik sich nicht durchsetzen wird. Und ich hoffe immer noch, dass dies so wein wird. Aber ich höre mir technomusik natürlich an. Es hilft mir, die eigenen Stücke mit Distanz zu sehen.

Da aktuelle Album hat mehr elektronischen Sounds als frühere Alben. Weshalb ist das so?

Früher habe ich alles selbst programmiert. Diesmal habe ich mir für den KURZWEIL 250 einen Programmierer gesucht, der mir das so macht, wie ich es haben möchte. Drei Jahre habe ich gesucht und dann habe ich zum Glück über Alex Henninger einen wirklichen profi gefunden. Aber ich mache jetzt ja nicht auf Techno oder House - sondern es ist eine Weiterentwicklung meiner eigenen Musik.

Trotzdem fragt man sich an manchen Stellen, ob da überhaupt noch Deine Band mitspielen durfte.

Ja.

War die Band beleidigt, weil sie an manchem nicht beteiligt war?

Da muss man die Musiker fragen. Natürlich fanden sie das nicht besonders komisch. Andererseits habe ich schon immer Alben als Demoversion zum größten Teil selber eingespielt, früher mit Lukas Linde und heute mit Helmut Prosa.

Kann man in großen Hallen die elektronschen Gimmike und Soundtricks reproduzieren?

Wir arbeiteten bei der Tournee mit Tapes. Die werden eingespielt, das haben wir schon früher gemacht und haben es diesmal etwas ausgeweitet.

Woher kommt der neue Ansatz?

Ich höre grundsätztlich eine völlig andere Musik als meine Band, von Steve Reich, also Minimalmusic bis hin zu Drum'n'Bass. Meine Musiker wollten mit mir übrigens niemals eine Band gründen wie die Beatles, sie sind und bleiben meine Begeitung. Ich habe sie mal danach gefragt und da wollten die nicht. Ich habe ja früher selbst in Bands gesungen und gespielt. Als ich noch erfolglos war, hieß es, ich solle mal zu jemandem fahren und der sollte aus diesem erfolglosen Studenten etwas herausholen. Da habe ich mich lieber auf mich selbst verlassen und bin zu dem geworden, was ich heute bin.

Es heißt, bei Deiner Plattenfira GLOBA gäbe viel Gezänk und Gerüchte um einen Wechsel zu einem anderen Label.

Ich darf Dir exklusiv vermelden, dass wir heute den Vertrag mit der GLOBA verlängert haben.

So schnell geht das?

Nee, das hat lange gedauert. (lacht) Darf ich mal 'ne Zigarette schnorren?

Die sind aber stark.

Kein Problem, ich rauch' ja selbst. Bei der GLOBA findet jetzt auch eine Umstrukturierung statt. Außerdem hat die Firma einen sehr guten Vertrieb und ich habe dort wunderbare Ansprechpartner, mit denen ich gut arbeiten kann. Ich werde auch mein eigenes Label, 1ride auf den Weg bringen, aber zum Vertrieb brauche trotzdem gute Partner. Die musste suchen, die musste erstmal finden. Die Ambition ist, sich so bewegen zu können, wie man es gern möchte - und das auch mit anderen Bands. Und zwar mit längerer Perspektive, was große Plattenfirmen sonst eben nicht mehr leisten. Den Bands wird nicht genügend Zeit gelassen. Ich kann Bands vor zuviel Hysterie schützen.

Du hast vor Jahren gesagt, dass in der Rockmusik die Akzente nicht in Deutschland gesetzt werden. Neuerdings hat sich das gewandelt. Es gibt neue frische Bands. Nehmen die Dich ernst?

Wahrscheinlich. In deren Augen bin ich aber vielleicht eher das Feindbild. Für einige stellen die Etablierten eine Reibungsfläche dar.

Ein Deutschrocker aus Hannover wollte die jungen Talente ja bereits vereinnahmen, aber die haben sich erst über ihn lustig gemacht und dann gewehrt. Wie siehst Du das?

Also, ich kene ja nur einen Deutsch-Rock-Musiker aus Hannover ...

... ich auch ...

... aber das interessiert mich eigentlich nicht. Es gibt da in der Szene sicher Leute, da schlafen dir die Socken ein. Ich kann nicht sagen, wie der sich das vielleicht gedacht hat, aber für die neuen jungen Wilden stehen wir da als Kolosse und an denen kann man sich gut reiben.


Und wie ist der Stand der Kolosse? Ihr habt Euch doch auch immer politisch engagiert: Wackersdorf, Gorleben, die dritte Welt?

Wackersdorf war ein Desaster, da ist die Szene der 80er Jahre eingebrochen. Das war ein einziges überhebliches Desaster, bei dem die Kolosse gezeigt haben, auch ich, dass wir nicht in der Lage dazu waren, ein Konzert zu organisieren, bei dem Geld für de Konzertzweck übrig bleibt. Ich schäme ich heute noch deshalb und, ja, im bertragenen Sinne gabe es auch Mord und Totschlag hinter den Kulissen. Das war der Abgesang auf alles Poltische. Ich hab mich dummerweise breitschlagen lassen, da zu spielen und den Leuten, die gekomme waren auch etwas zu sagen. Aber dann ging Fritz Egner auf mich zu, der die Moderatio machte, und sagte zu mir, ich solle nicht politisch werden. Da dachte ich, ich sei beim falschen Konzert, aber gehen konnte ich ja nicht mehr, es warteten ja alle auf meinen Gig. Richtig eklig wurde es aber erst später: Ich saß bei der Plattenfirma und sah dort eine Video-Kassette mit einem Konzertmitschnitt und die war in einer Hülle mit dem Lufthansa-Engel drauf. "Wer hat das freigegeben?" fragte ich. "Wir, die Plattenbosse.", war dei Antwort und ich dachte mir, das kann ja wohl nicht angehen, dass die das Konzert ohne mich und die anderen zu fragen an die Lufthansa verscheuern!

Und was hast Du unternommen?

Ich hab das über meine Anwälte alles wieder einziehen lassen. Die Plattenbosse waren zu feige zuzugeben, dass sie die Künstler des Konzertes nicht gefragt hatten. Da bekam ich den ganzen Dreck ab Schmähbriefe von Möchtegern-Sponsoren, Protestnoten von Goethe-Instituten und irgendein Politiker forderte, ich solle das Land verlassen. Das mache ich jetzt auch und gehe in die neuen Fünf-Länder.


"Odysseus" ist schärfer formuliert als andere Alben von Dir in der Vergangenheit. Weshalb?

Ich habe da sprachlich eine neue Form versucht. Die ist viel offener und metaphorischer. Ich kommentiere die Zeit heute, aber dennoch ist es wie ein Album zur Wende. Es geht im Grunde darum, wie sich das Individuum im Kontext verhält. Der Mensch hat sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Ob das zur Erneuerung oder zum Ausbruch von Unruhen führen wird, da darf man gespannt sein und nach rechts wie links schauen. Mich interessieren die Parteien nicht mehr, viele interessieren sich nicht mehr für die Parteien. Selbst nicht, wenn die Landschaften wie versprochen blühen sollten. Ich glaube, dass es wieder eine große außerparlamentarische Opposition in Deutschland gibt. Es gibt eine kollektive Wut.

Wie hast Du als Musiker früher den Osten erlebt?

Ich habe mich vor der Wende immer geweigert, im Osten zu spielen. Die haben uns immer eingeladen. Aber ich bekam viel Post von Jugendlichen, die schrieben: "Spiel hier bitte nicht, wir kriegen nie 'ne Karte." Die ersten Konzerte nach der Wende haben wir in Berlin gespielt ...

... und Du warst überrascht, dass alle die Texte auswendig konnten.

Ja, das ist wie der erste Flirt. Die kannten mich natürlich besser als ich sie. Man ist ganz perplex. Die Gefühle, die einem bei solch einer ersten Begegnung entgegengebracht werden, sind ganz unmittelbar und frisch. Ich finde, die Menschen in Osten sind, was Kultur anbelangt, viel gebildeter als wir, denn für sie war Kultur ein Überlebenselixier. Für uns kommt Kultur nur zwischen anderen Aktivitäten und vor allem dann, wenn sie nicht stört.

Wie geht es künstlerisch weiter mit Dr? Wie groß ist die Verantwortung nach acht erfolgreichen Alben?


Mit der "Korff Musik" sind es sogar neun, aber das ist nicht das Thema. Eine Plattenfirma ist für ihre Größe und Struktur selbst verantwortlich. Ich bin kein Angestellter, ich mach keine Auftrags-Produktionen. Natürlich will man gemeinsam mit einer Platte Erfolg haben. Aber ich muss die Musik machen dürfen, wie ich es will. Ich weiß, welche meiner Songs Mist sind, die laufen aber mir nach, nicht der GLOBA.

Wie wird das zehnte Album sein?

Wenn es nach mir ginge, dann ist es ein Livemitschnitt meiner diesjährigen Tour als Karl David Korff. Du weißt ja vielleicht, dass die hautsächlich durch die neuen Bundesländer führen wird und "Gute Aussichten" heißt. Das is 'ne sperrige Nummer, die erfüllt keine Hörgewohnheiten, die ist so eigensinnig und speziell. Diese Platte, gerade auch die neuen Songs, sind für meie Zuhörer zunächst mal wahrscheinlich eine Irritation. Aber ich muss doch das Gefühl haben, dass ich mich entwickle. Natürlich sage ich Dir aber schon jetzt: "Die neue Scheibe wird ein Riesen-Hit!" (lacht)

Man kann es einfacher haben.

Kann man, aber das was ich hier gerade erzählt habe, beschreibt am präzisesten, worum es mir künstlerisch geht. Ich hatte mal ein Gespräch mit einem deutsch-türkischen Fan, der sagte mir: "Vor dir war alles langweilig und jetzt mir dir ist alles anders." Das habe ich mir gemerkt und das könnte auch eimal der Titel einer Biografie werden: "Mit mir war alles anders".

Gibt es noch Diskussionen um so eine neue Platte?

Ich verbitte mir das nicht, aber ich weiß, mit wem ich darüber rede. Ich sage ja nicht, ich wüsste Bescheid. Aber bei dieser Tour und der zehnten Platte bin ich mir relativ sicher. Ich nehm mir noch 'ne Zigarette.

Also gibt es demnächst "Gute Aussichten" mit Dir..

So wird es sein.

Keine Kommentare: